Am 23. Oktober organisieren Studenten der Eötvös Loránd Universität in Budapest eine Solidaritätskundgebung für die streikenden Arbeiter in Polen. Sie fordern Entstalinisierung, Demokratisierung und die Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Aus dieser Demonstration entwickelt sich ein landesweiter Aufstand.
Quelle: Institute for the History of the 1956 Hungarian Revolution
Ursachen der Revolution:
Innerparteiliche Opposition: Mit den Offenbarungen des 20. Parteitages in der Sowjetunion im Februar 1956 über die Verbrechen Stalins gewinnt der reformorientierte Flügel in der ungarischen Staatspartei wieder an Einfluss. Er erhält dabei Zuspruch aus der Bevölkerung. Rákosi muss im Juli sein Amt abgeben und flieht in die Sowjetunion.
Außerparteiliche Opposition: Petöfi-Kreis - Seit Anfang des Jahres 1956 treffen sich kritische Intellektuelle. Die heterogene Gruppe, nach dem ungarischen Revolutionsdichter von 1848 Sándor Petöfi benannt, thematisiert aktuelle Fragen. Protagonisten sind die Philosophen Gábor Tánczos und György Lukácz sowie der Schriftsteller Tibor Déry. Die größte Veranstaltung, die sogenannte Presse-Diskussion am 27. Juni, verfolgen über 6.000 Menschen.
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12 Tage eines identitätstiftenden historischen Augenblicks
23. Oktober - Den demonstrierenden Studenten in Budapest schließen sich viele Arbeiter an. Vor dem Rundfunkhaus schießt die Geheimpolizei in die Menge. Es kommt zu den ersten Todesopfern der ungarischen Revolution.
24. Oktober - In Budapest wird der Generalstreik ausgerufen und Imre Nagy erneut als Ministerpräsident eingesetzt. Er soll die Situation beruhigen und ruft die in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen zu Hilfe.
Der Protest breitet sich über das ganze Land aus. Überall werden örtliche Komitees (Revolutionsräte) gebildet. 25. Oktober - Vor dem Parlamentsgebäude schießen sowjetische Truppen und der ungarische Geheimdienst auf Demonstranten. Mehr als 100 Menschen sterben. Die Aufständigen bewaffnen sich mit Hilfe der ungarischen Armee. János Kádár wird neuer Parteichef. Nagy stellt eine neue Regierung auf.
26. Oktober - Große Teile Süd- und Westungarns sind in den Händen der Aufständigen. Damit verfügen sie auch über vier Radiosender. Unterdessen kann sich Nagy nicht gegen die Stalinisten in der kommunistischen Partei durchsetzen. Ein Abrücken der sowjetischen Armee kommt für diese nicht in Frage.
27. Oktober - Während die Reformer weiterhin mit den Stalinisten der Partei ringen, wird auf der Straße bereits ein sozialistisches Gesellschaftsmodell generell in Frage gestellt. Hier geht es nicht mehr um Sowjetkommunismus oder Nationalkommunismus wie in Jugoslawien.
28. Oktober - In einer Regierungserklärung verkündet Nagy einen Befehl, der es den ungarischen Truppen untersagt, auf Aufständige zu schießen. Gleichzeitig habe sich die Sowjetunion entschlossen ihre Truppen aus Budapest abzuziehen. Die Staatssicherheit wird aufgelöst.
Die Auseinandersetzungen gehen im übrigen Land unvermindert weiter. Dabei werden nicht selten örtliche Parteifunktionäre von der Bevölkerung umgebracht.
[„Dieser Gnom ist der Mörder und Verräter des ungarischen Volkes. Hängen ist nicht genug.“] 29. Oktober - Nagy verhandelt mit den kämpfenden Gruppen um die Abgabe der Waffen. Diese wollen aber in die neuen Sicherheitskräfte eingegliedert werden. Die sowjetischen Truppen bekommen den Befehl zur Einstellung der Kampfhandlungen. Zum Abzug kommt es allerdings noch nicht.
30. Oktober - Nagy verkündet das Ende des Einparteiensystems und spricht vom freien, demokratischen und unabhängigen Ungarn. Doch die kämpfenden Menschen wollen sich erst auf die neue Regierung einlassen, wenn die sowjetischen Truppen das gesamte Land verlassen haben. Begleiterscheinung ist die Lynchjustiz der Straße.
31. Oktober - Die sowjetischen Panzer verlassen Budapest. Gleichzeitig kommt es zu großen Truppenbewegungen nach Ungarn. Chruschtschow will angesichts der internationalen Lage (Suez-Kanal-Krise) Stärke demonstrieren. Eine Invasion in Ungarn wird hinter verschlossenen Türen in Moskau beschlossen. Nagy vertritt nun endgültig die Interessen der ungarischen Nation und nicht mehr die seiner Partei.
1. November - Angesichts der drohenden sowjetischen Invasion tritt Ungarn aus dem Warschauer Pakt aus und deklariert seine Neutralität. Nagy bittet die UNO um Hilfe. Für die Arbeiterräte ist dies ein deutliches Zeichen, den Generalstreik zu beenden. János Kádár verkündet die Auflösung der alten Staatspartei und die Gründung der Magyar Szocialista Munkáspát (Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei – USAP).
2. November - Sowjetische Verbände marschieren weiter Richtung Budapest. Kádár wechselt auf Druck der Sowjets die „Seiten“ und befindet sich in Moskau. Das Leben beginnt sich zu normalisieren. Nagy bildet erneut die Regierung um und stellt sie auf eine breite gesellschaftliche Basis.
3. November - Eine sowjetische Militärdelegation verhandelt mit den Ungarn über einen Truppenabzug. Die Sowjets wollen Zeit gewinnen bis die Vorbereitungen für den Angriff fertig sind. Nagy bemüht sich wiederholt vergebens darum, mit der sowjetischen Führungsspitze direkt in Kontakt zu treten.
In der Nacht zum 4. November beginnt der sowjetische Angriff auf Budapest. In einer Radioansprache gibt Nagy um 5.20 Uhr noch eine Erklärung ab, solange er dazu noch die Möglichkeit hat. (Quelle: archiv.org/ABL)
Im ganzen Land toben Kämpfe zwischen der Zivilbevölkerung und dem sowjetischen Militär. Am 22. November wird Nagy beim Verlassen der jugoslawischen Botschaft verhaftet. Etwa 2.500 Menschen verlieren bei den Kämpfen ihr Leben. Über 200.000 sind auf der Flucht nach Österreich.
Mit Hilfe der Sowjets (Nikita Chruschtschow l.) etabliert János Kádár (r.) eine neue Regierung. Nagy wird ins benachbarte Rumänien verschleppt und 1958 in Budapest gehängt. Insgesamt werden ca. 500 Todesurteile vollstreckt - das letzte im August 1961.
Nikita Chruschtschow (links) und János Kádár (rechts) | Quelle: Institute for the History of the 1956 Hungarian Revolution