Gulasch statt Stahl
Der Ausdruck „Gulaschkommunismus“ geht auf Nikita Chruschtschow zurück und meint die Aufhebung der Stalin-Doktrin vom Primat der Schwer- und Stahlindustrie in der sozialistischen Wirtschaftpolitik. Aus den Ereignissen von 1956 gewinnt Kádár die Erkenntnis, die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung stärker zu befriedigen.
Nach den Wirtschaftsreformen von 1968 bedienen sich westliche Medien dieses Begriffes, um den ungarischen Sonderweg zu klassifizieren.
In den 1980er Jahren werden Budapest und der Balaton für den gesamten Ostblock zum „bunten Schaufenster“. Hier erlebt man westliche Kauflandschaften. Hier trifft man sich mit westdeutschen Freunden und Verwandten.
Mit der Öffnung Ungarns etabliert sich auch eine westliche Lebensart.
1986 kommt gar die „Königsklasse“ des Kapitalismus hinter den „Eisernen Vorhang“. Der Formel 1-Zirkus wird für den Osten auf dem Hungaroring erlebbar – wenn auch kaum bezahlbar.
Schallplatten statt Brot
Die Einreise nach Ungarn ist nicht ganz komplikationslos. 4 bis 6 Wochen vorher muss bei der Volkspolizei eine Art Visum beantragt werden. Die Eintrittskarte nach Ungarn (auch für Rumänien und Bulgarien) ist die „Reiseanlage für den visafreien Reiseverkehr“ in Verbindung mit dem Personalausweis.
Der Staat regelt auch die Ausstattung mit “Reisezahlungsmitteln”. Nach einem Beschluss des Ministerrats der DDR von 1986 ist die Höhe festgelegt. Insgesamt dürfen nicht mehr als 2650 Forint im Jahr getauscht werden. Der Tagessatz von 31 DDR-Mark verteilt sich damit auf 14 Tage. Das Preisniveau in Ungarn ist dabei um einiges höher als in der DDR.
Den Forint-Bedarf versucht die DDR-Regierung, durch das einmalige Tauschen mittels dieser Berechtigungsscheine oder einer Zollerklärung um weitere 100 DDR-Mark zu entspannen.
Im sozialistischen Ausland legt man bei aller „Brüderlichkeit“ auf das Geld der DDR-Touristen nicht viel wert. |
Bei derart knappen Urlaubskassen ist man bemüht, die Unterhaltskosten (Lebensmittel, Unterkunft, Benzin) so knapp wie möglich zu halten. Das Geld wird für „wichtigere“ Dinge benötigt.
Schallplatten aus Ungarn | Quelle: ABL
Im Budapester Stadtplan markierter Schallplattenladen, 1982 | Quelle: ABL
Musik ist ein systemunabhängiges Element der Sozialisierung. Durch Verbot und Mangel wird dieser Prozess in der DDR-Gesellschaft für Jugendliche noch dominanter. Mit Musik rebelliert man nicht nur gegen die Eltern-Generation sondern auch gegen den Staat.
„Rockmusik avancierte für viele zum Symbol für ‚Freiheit‘, ‚Widerstand‘ und ‚Anderssein‘“. (Michael Rauhut: Rock in der DDR)
In Ungarn kann man diese Bedürfnisse ansatzweise befriedigen und ist bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen.
500 Forint entsprechen ca. 83 DDR-Mark. Der Durchschnittsverdienst liegt bei etwa 600 bis 800 Mark.
Freiheit statt Harz
Besonders bei Jugendlichen ist das Reisen per Anhalter verbreitet. Sie erobern sich die „kleine weite Welt“ auf eigene Faust und unabhängig vom staatlich gelenkten Tourismus.
Jens Eßbach: “Wir haben generell im Freien geschlafen“
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