SED gegen SED
Stalins Monument bröckelt und Ulbrichts Thron wackelt.
Auch in der DDR nähren der 20. Parteitag der KPdSU mit seiner Verurteilung Stalins sowie die Situation in Polen Hoffnungen auf eine neue Politik. Innerhalb der SED sorgen diese Offenbarungen für Unsicherheit.
Zögernd werden Stimmen von Intellektuellen nach einem demokratischen Sozialismus in der DDR laut.
Vorbilder dafür gibt es im ungarischen „Petöfi-Klub“:
Seit Mitte 1956 diskutieren marxistische Intellektuelle Probleme des Sozialismus in der DDR. In verschiedenen informellen Gruppen unterhält man Kontakte zu Mitgliedern des „Petöfi-Klubs“ in Ungarn. Aus dem Umfeld des „Aufbau-Verlages“ (Walter Janka) und der Wochenzeitung „Sonntag“ (Wolfgang Harich) entsteht die „Plattform für den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“. Harich fasst darin die Diskussionen zusammen.
Das Papier wird in SED-Kreisen verteilt. Es hat jedoch keine öffentliche oder politische Wirkung. Harich nimmt daraufhin Kontakt zum „Ostbüro der SPD“ auf, um eine Diskussion zu provozieren.
Walter Ulbricht: "Im Keim ersticken"
Ulbrichts Angst vor einem ostdeutschen „Petöfi-Kreis“
Nach der militärischen Niederschlagung der ungarischen Revolution sieht sich Ulbricht gestärkt, gegen die „Stalinismusdiskussion“ vorzugehen.
Quelle: Neues Deutschland, 30.12.1956
Ende November / Anfang Dezember werden Harich und Janka sowie Bernhard Steinberg, Manfred Hertwig, Gustav Just und Heinz Zöger verhaftet und vor Gericht gestellt. Trotz der geringen Resonanz wird ihr Pamphlet als ein konterrevolutionärer Umsturzplan gewertet und der Autor Harich als ihr „Anführer“ ausgemacht. Der „Gruppe“ wird eine staatsfeindliche Absicht unterstellt, die es so nie gegeben hat.
Alle Angeklagten werden zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.
Ein „zweiter 17. Juni“?
Losungen auf Flugblättern aus der Humboldt-Universität Berlin im Oktober / November 1956 | Quelle: Bundesarchiv, BStU
Ähnlich wie in Ungarn gibt es das größte Unruhepotenzial an den Hochschulen und Universitäten. In einigen Betrieben kommt es sogar zu kurzfristigen Arbeitsniederlegungen.
Die angespannte Lage in der DDR lässt die SED einen „zweiten 17. Juni“ befürchten.
Dementsprechend inszeniert die Staatspartei eine Kampagne der Volksverbundenheit. Hohe Parteifunktionäre gehen in Betriebe und demonstrieren Einigkeit mit den Problemen der Menschen.
Am 27.10.1956 findet zu Beginn des Abendprogramms ein Fernsehgespräch zwischen Regierungschef Otto Grotewohl (3.v.l.), Parteichef Walter Ulbricht (3.v.r.) und Chefkommentator Karl-Eduard von Schnitzler (r.) mit Berliner Arbeitern statt. | Quelle: Bundesarchiv
Walter Ulbricht: „Regierungswechsel – nur weil es Mode ist – machen wir nicht mit.“
Grotewohl behauptet in diesem „Gespräch“, dass es in der DDR keine politischen Gefangenen gäbe und Ulbricht „fühle und denke“ wie ein Arbeiter, weil er auch mal einer war.
(Quelle: Neues Deutschland, 28.10.1956)
Ansgar Müller: „Wir haben gebangt und gehofft und waren verzweifelt.“
Als Student in Halle erlebt Ansgar Müller die Ereignisse in Ungarn. Eine Auseinandersetzung innerhalb der Studentenschaft findet hier jedoch nicht statt. (Quelle: ABL)
- geb. 1936 in Leipzig
- 1954 – 1960 Geologiestudium in Halle
- 1960 – 1967 wiss. Mitarbeiter beim Geologischen Dienst Halle
- 1968 – 1984 VEB Kombinat Geologische Forschung und Erkundung Halle
- 1984 – 1987 wiss. Mitarbeiter am Zentralinstitut für Isotopen- und Strahlenforschung Leipzig
- 1987 – 1999 wiss. Mitarbeiter der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig
- Oktober 1989 Kontaktperson des Neuen Forum
- 25.10.1989 Aufruf zur Auflösung der Staatssicherheit
- November 1989 Mitbegründer der CSPD (Christlich-Soziale Partei Deutschlands)
- Besetzung der Stasizentrale in Leipzig am 4.12.1989