Ulbrichts „Türöffner“
Seit es in der ersten Phase der jugoslawisch-sowjetischen Annäherung (1955-57) zur diplomatischen Anerkennung der DDR im Jahr 1957 kam, hat Tito ein Problem mit der Bundesrepublik. Für die Bonner Regierung greift seitdem die „Hallstein-Doktrin“, die der außenpolitischen Isolation der DDR dient. In der zweiten Phase der Aussöhnung mit der UdSSR (1962-68) wird Tito in die DDR eingeladen. Von diesem Besuch verspricht sich Ulbricht, dass der mittlerweile weithin anerkannte Staatsmann und Führer der blockfreien Bewegung, ihm die „Tür“ auf das internationale Parkett öffnet. Tito seinerseits will die Bundesregierung unter Druck setzen, auf seine Bedürfnisse einzugehen (Entschädigungsansprüche, neue Kredite, Gastarbeiterregelung). (Bildquelle: Bundesarchiv)
Ulbrichts Anbiederung ist Ausdruck des stalinistischen Wesens der „Unberechenbarkeit“. Was gestern noch galt, muss heute nicht mehr gelten.
Die neu entdeckte „Freundschaft“ erschließt sich auch dem DDR-Bürger. So erscheint u.a. in der überaus beliebten Monatszeitschrift „Das Magazin“ ein vollkommen politikfreier Reisebericht über Dubrovnik, der sich mit mittelalterlicher Geschichte und Tradition befasst. Doch ein DDR-Bürger wird dies nie auf eigenen Reisen nachvollziehen können.
Jugoslawiens „Goldene Jahre“
Innerhalb einer Generation entwickelt sich Jugoslawien von einem der ärmsten Agrarländer zu einem nahezu vollindustrialisierten Staat. Mit der Einführung der Selbstverwaltung kommt es bis Anfang der 1960er Jahre zu jährlichen Wachstumsraten von 10-17%. Nach den harten Jahren der Entbehrungen entsteht Anfang der 1960er Jahre eine gewisse „Wohlstands- und Konsumgesellschaft“. Tito drosselt die Schwerindustrie zugunsten der Verbrauchsgüterindustrie, damit die Kriegsgeneration noch von ihren Anstrengungen partizipieren kann. Die Reisefreiheit der Menschen ermöglicht darüber hinaus die Befriedigung individueller Bedürfnisse.
Die rasche Industrialisierung führt zu einer sozialen Mobilität vom Land in die Stadt. Etwa die Hälfte (8 Mio.) aller Einwohner haben in dieser Zeit ihren Wohnsitz gewechselt. Es werden ungeheure Anstrengungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich unternommen (Alphabetisierung, Bildungschancen). Die Kulturlandschaft ist kreativ und sehr vielfältig. Während andere sozialistische Staaten z.B. die Rockszene bekämpfen, kann sie sich hier ungehindert entfalten. Alltag wird ein westlicher Lebensstil. Tradierte Geschlechterrollen verlieren in urbanen Gebieten ihre Bedeutung.
Einen großen Aufschwung erfährt die kroatische Adriaküste durch den einsetzenden Massentourismus aus dem In- und Ausland.
Dubrovnik, Istrien, Kotor, 1968 | Quelle: ČTK/ABL
Erste Risse in der Föderation
Mitte der 1960er Jahre stagniert das Wachstum. Im Jahr 1967 gibt es erstmals eine negative Wachstumsrate (- 0,3%). Es sind mehr Produkte auf dem Markt als Geld in den Taschen der Bevölkerung. Inflation und Verschuldung sind die Begleiterscheinungen. Die Unzufriedenheit wächst, denn mittlerweile ist eine Generation herangewachsen, die sich nicht mehr durch den Vergleich auf die Vergangenheit vertrösten lässt.
Es kommt zur massenhaften Abwanderung von jungen und qualifizierten Arbeitskräften nach Westeuropa, meist Westdeutschland.
Kampagne des westdeutschen Europa-Union e. V. zur stärkeren Integration der Gastarbeiter, 1967 | Quelle: Bundesarchiv
Ende 1964 beschließt der VIII. Parteitag des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens eine neue Wirtschaftsreform. Insbesondere werden über die Frage der zentralen Investitionspolitik und des Bundesfonds, in den alle Republiken einzahlen, gestritten. Innerhalb der Partei haben sich die Befürworter einer stärkeren Dezentralisierung durchgesetzt (Slowenien und Kroatien). Die Parteiapparate der Teilrepubliken vertreten immer mehr eigene Interessen und werden zu rivalisierenden Machtzentren innerhalb des Bundes. Dadurch wird unweigerlich die nationale Frage aufgeworfen.
Ab Juli 1965 dürfen die Betriebe noch mehr über ihre Gewinne bestimmen. Damit werden Begehrlichkeiten geweckt, die einen „Verteilungskampf“ zwischen dem reichen Norden und dem armen Südosten hervorrufen.
Obwohl der Wohlstand gestiegen ist, so die Annahme, könnte man noch besser dastehen.
Das Wohlstandsgefälle verläuft von Nord nach Süd.
Das Gleichverteilungsprinzip funktioniert nicht mehr. Jede Republik orientiert sich an den unmittelbaren Nachbarn: Der Südosten am Norden und der Norden an den Nachbarstaaten Österreich und Italien.
In den Folgejahren etabliert sich ein Gefühl der „relativen Benachteiligung“ (Wolfgang Höpgen) im nationalen Bewusstsein des Nordens.
→ Die territoriale Autokratie richtet sich gegen alle integrativen Prozesse. → Die “sozialistische Marktwirtschaft” beruht auf den gleichen Mechanismen und der gleichen inneren Logik wie die Marktwirtschaft westlicher Prägung. |
Die Absetzung des sehr einflussreichen Chefs der Staatssicherheit Aleksandar Ranković (l. mit Tito) im Juli 1966 macht auch den Weg frei für liberale Reformen innerhalb der kommunistischen Partei. Der Geheimdienst hatte bis dahin zunehmend die Kontrolle über die Partei übernommen. Es kommt zur Absetzung alter Kader, so dass innerhalb der Partei ein Generationswechsel vollzogen wird. Die kommunistische Partei wird mit dem Ziel der Demokratisierung und Föderalisierung reorganisiert.
Parallel zur Dezentralisierung der Wirtschaft entstehen politische Strukturen, die den Republiken und autonomen Gebieten mehr Selbstbestimmung einräumen. Einzig Titos Stellung bleibt unangetastet.