Reformversuche des Sozialismus
→ Der „besondere deutsche Weg zum Sozialismus“, 1946
In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gibt es 1946 durch den führenden Kommunisten Anton Ackermann (l., hier 1951) programmatische Überlegungen über einen „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“. Darin spricht er sich gegen eine brachiale Errichtung der „Diktatur des Proletariats“ wie in der Sowjetunion aus, denn man müsse die nationalen Gegebenheiten berücksichtigen. Nach Stalins Bruch mit Jugoslawien muss er seine Thesen widerrufen. Die Entwicklung in der SBZ wird durch die Sowjetunion „administrativ“ bestimmt und nicht politisch diskutiert. „Administrativer Vollstrecker“ ist Walter Ulbricht (r.) und Ackermann wird in das politische Abseits gestellt.
→ Neues Ökonomisches System der Leitung und Planung (NÖSPL), 1963
Das jugoslawische Modell der Arbeiterselbstverwaltung ist in den 1960er Jahren für kommunistische Wirtschaftsreformer ein Ansatz, die Effizienz der starren Planwirtschaft zu verbessern. Der wirtschaftliche Erfolg Jugoslawiens scheint derartige Überlegungen zu rechtfertigen.
Anfang der 1960er Jahre hat sich ein enormer wirtschaftlicher Reformdruck in der DDR angestaut. Maßgeblich durch Erich Apel wird 1963 ein wirtschaftliches Reformprogramm vorgelegt. Dieses enthält dezentrale Elemente zu Gunsten der Betriebe. Ähnlich wie in Jugoslawien können sie (in begrenztem Maße) über eigene Gewinne als Investitionsmittel verfügen. Reale Preise sollen zu mehr Effizienz anhalten. Über ein leistungsorientiertes Prämiensystem will man die Arbeitsmoral verbessern.
SED-intern sind die Veränderungen nicht unumstritten, denn Kompetenzen von Zentralverwaltungen und Politfunktionären werden beschnitten. Doch der schnelle Impuls für die Wirtschaft gibt den Reformen zunächst recht.
Bereits Ende 1965 sind die Reformen zum Scheitern verurteilt. Neben den Schwierigkeiten bei der organisatorischen Durchsetzung beansprucht die Sowjetunion einen beträchtlichen Teil der DDR-Exportkraft für sich. Apel kann sich mit der Forderung nach mehr Unabhängigkeit von der Sowjetunion nicht durchsetzen und im Zuge dessen schwindet sein Rückhalt in den eigenen Reihen. Ein Handelsabkommen mit der Sowjetunion wird am 3. Dezember 1965 nach mehrmaligem Drängen Breschnews unterzeichnet. Noch eine Woche zuvor hat der sowjetische Staatschef bei einem Blitzbesuch in Berlin die deutschen Genossen persönlich zur Räson gerufen.
Neues Deutschland, 4.12.1965
Auch der Wirtschaftsexperte des Prager Frühlings in der ČSSR Ota Šik sieht in der Dezentralisierung einen Ausweg aus der prekären wirtschaftlichen Situation.
Derartige Reformen sind jedoch unter der Vorherrschaft der Sowjetunion nicht möglich.
→ Rudolf Bahros „Alternative“, 1977
„Staatsfeindlich“ ist Rudolf Bahros Gesellschaftsentwurf „Die Alternative – Zur Kritik des real existierenden Sozialismus“, obwohl der den Sozialismus als Staatsform nicht in Frage stellt. Seine reformsozialistische Analyse gipfelt in der Forderung nach Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, um die Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR zu beheben. Dazu müsse der einzelne Mensch mehr Mitspracherechte bekommen, was sein Verantwortungsbewusstsein stärken würde. Im August 1977 erscheinen Auszüge im westdeutschen "Spiegel". Bahro wird daraufhin verhaftet und im Juni 1978 wegen "nachrichtendienstlicher Tätigkeit und Geheimnisverrat" zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Nach einer breiten internationalen Solidarität wird er im Zuge des 30. Jahrestages der DDR 1979 in die Bundesrepublik entlassen.
Aus Protest gegen die Inhaftierung Bahros läuft Bernd Albani im Juni 1978 mit einem Plakat durch die Leipziger Innenstadt. Darauf steht: „Ich fordere Freiheit für Bahro!“
Albani wird zu 6 Wochen Haft verurteilt.
Lebenslauf Bernd Albani
Am 2. September 1978 tauchen „Schmierereien“ an Leipzigs berühmtesten Denkmal auf. Links und rechts des Haupteinganges zum Völkerschlachtdenkmal prangt in ein Meter großen Lettern die Losung „Freiheit für Bahro“.
Quelle: Bundesarchiv, BStU
Eine Gruppe junger Leute um den Kommunisten Heinrich Saar solidarisiert sich in dieser Form. Aus den Diskussionsrunden über notwendige Reformen des Sozialismus in der DDR entstehen konkrete Aktionen.
„Vereinen wir uns zur Oppositionsbewegung demokratischer Kommunisten!“
Bis Ende des Jahres 1978 druckt die Gruppe ca. 1.200 Flugblätter mit Hilfe von Kinderstempelkästen. Darin ergreift sie Solidarität mit Bahros „Alternative“ und fordert die Freilassung aller politischen Gefangenen. Äußerst provokant ist der Aufruf zum Aufbau oppositioneller Strukturen.
1979 zerschlägt die Staatssicherheit die Gruppe und die Gruppenmitglieder müssen Haftstrafen in Hoheneck, Cottbus und Bautzen verbüßen.
1989/90 - „Keine Experimente“
Montagsdemonstration in Leipzig, 11.12.1989 | Quelle: ABL / B. Heinze
Spätestens nach der Maueröffnung am 9. November 1989 stoßen konkurrierende Meinungen während der Friedlichen Revolution aufeinander. Was als regimestürzende Einheit beginnt, differenziert sich durch unterschiedliche Zukunftsvorstellungen aus. Tragfähige Konzepte gibt es zunächst kaum.
Zivilgesellschaft |
Dritter Weg |
Deutsche Einheit -jetzt |
- Politische Partizipation des Einzelnen - Schwächung des (totalitären) institutionalisierten Staates durch Basisdemokratie |
- DDR als sozialistische Alternative zur Bundesrepublik - politische Vereinnahmung von Reformideen durch die SED -> SED / PDS -> PDS |
- Legitimationsverlust der DDR - Abschaffung des Staates - Materielle Begehrlichkeiten |
-> Macht-frage wird nicht gestellt | -> Macht-rettende Versuche | Macht-frage steht auf der Tagesordnung |
Die Dynamik der Revolution verschiebt die Mehrheiten innerhalb kürzester Zeit von reform-intendierten Ansätzen bis zum Zerfall der DDR. Der klare Orientierungsbedarf der Bevölkerung hin zur deutschen Einheit ist für die Akteure der Revolution überraschend. Im Ergebnis der ersten freien Volkskammerwahl vom 18. März 1990 spiegelt sich dieser Trend sehr deutlich wider. Die „Allianz für Deutschland“ verspricht die schnellstmögliche Vereinigung Deutschlands, während die ehemalige DDR-Opposition mit dem Bündnis 90 nur noch eine moralische Rolle spielt.
Die politischen Veränderungen, die man im Laufe der Geschichte der DDR angestrebt hat, orientieren sich an den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen und damit an den Erfolgsaussichten ihrer Umsetzung. |