Die Themenblöcke zu Rumänien
Der Personenkult in Rumänien gehört zu den exzessivsten im gesamten Ostblock. Das Gedicht „Ein Begriff“ von Franz Liebhard entstammt einer Anthologie zum 70. Geburtstag des Diktators im Jahr 1988.
+++ Jede Schreibmaschine muss mit einer Schreibprobe bei der Polizei gemeldet sein. +++ Die Energiekrise führt zu täglichen Stromabschaltungen. +++ Drosslung der Heizleistung für fernbeheizte Wohnungen auf 12 °C +++ Gespräche mit Ausländern müssen der Polizei gemeldet werden. +++ Verbot des Devisenbesitzes für Privatpersonen. +++ Eine Entschuldung gegenüber dem westlichen Ausland geschieht über Lebensmittelexporte. Eine Hungersnot wird dabei in Kauf genommen. +++ Arbeiterstreik im Schiltal wird durch Massenverhaftungen beendet. +++ Hungeraufstand im Banat, Bauern stürmen die staatlichen Getreidedepots +++ Rebellion in Cluj-Napoca, in Nicolina, in Braṣov +++
Anders als in Albanien bleiben die Verhältnisse in Rumänien nicht verborgen. Amnesty International prangert die menschenunwürdige Situation an.
(rumänischer Witz in den 1980er Jahren)
Die amerikanische Osteuropazeitschrift „Across Frontiers“ veröffentlichte im Sommer 1988 einen Artikel über Proteste in Rumänien. Dieser kursierte in der DDR in übersetzter Form durch oppositionelle Kreise.
Quelle: ABL
Herta Müller: „Jeder Spielfilm ist eine dreiviertel Stunde lang.“ Nachdem alle parlamentarischen Initiativen für eine Anhörung zur Situation in Rumänien im Bundestag scheitern oder im Sande verlaufen, organisieren Die Grünen am 14.4.1988 ein Treffen mit osteuropäischen Teilnehmern. Referentin ist u.a. die spätere Nobelpreisträgerin Herta Müller (2009). Der rumänische Botschafter in Bonn interveniert und bemerkt eine „unfreundliche Geste gegenüber Rumänien“. (Quelle: ABL)
Für DDR-Touristen ist Rumänien ebenso wie Bulgarien durch den Zugang zum Schwarzen Meer sehr interessant. Eine mediterrane Atmosphäre wird hier vorstellbar. Sehr ausgeprägt ist der Individualtourismus. Er erschließt sich die faszinierenden Landschaften und die unbekannten Kulturen nicht nur der ethnischen Minderheiten (Deutsche, Ungarn, Roma und Sinti) auf eigene Faust.
Reinhard Bohse: „Wenn man zurückkam, fühlte man sich in der DDR noch relativ frei.“
Die Eindrücke der rumänischen Wirklichkeit nehmen die Menschen mit in die DDR.
In Rumänien herrscht Reisefreiheit | Quelle: Dirk Moldt, 1987
Im November 1988 erteilt die SED den Reformbedürfnissen der DDR-Bevölkerung eine klare Absage. Demonstrativ überreicht SED-Chef Honecker am 17. November die höchste DDR-Auszeichnung, den Karl-Marx-Orden, an den rumänischen Diktator. Die moralische und ideologische Phalanx der Beiden macht das zeitgleiche Verbot der sowjetischen Zeitschrift „Sputnik“, die über die dortigen Reformen berichtet, unübersehbar.
Von der Stasi gesammelte Reaktionen der Bevölkerung (Quelle: BStU)
In der Nacht vom 17. zum 18. November tauchen an Häuserwänden von Kahla (Thüringen) verschiedene Losungen auf. Einen Tag später werden drei Jugendliche verhaftet und wegen „Rowdytums“ zu 1 Jahr und 6 Monate auf Bewährung verurteilt. (Bild: Auszug aus dem Strafgesetzbuch der DDR) |
Artikel 103 der DDR-Verfassung schreibt die Möglichkeit von Beschwerden (Eingaben) der Menschen bei staatlichen Instanzen fest. Ziel ist die öffentliche Teilhabe der Bevölkerung in der Hoffnung, dass die Menschen der staatlichen Ordnung ja vertrauen können. Eine Eingabe muss innerhalb von 4 Wochen beantwortet werden. Das Eingabengesetz von 1975 bestimmt allerdings, dass die Entscheidungen der Leiter zentraler Staatsorgane endgültig sind.
Das Recht auf Beschwerde ist ein „scheindemokratisches“ Instrument, denn der Einzelne bleibt der subjektiven Sicht von Partei-Genossen ausgeliefert. Trotzdem wird massenhaft von der Möglichkeit des Schreibens einer Eingabe Gebrauch gemacht, bringt man doch damit staatliche Instanzen mit unter in erhebliche Erklärungsnöte. In den 1980er Jahren entsteht daraufhin ein neuer „Volkssport“. Die Anlässe für eine Eingabe sind dabei sehr vielfältig. Rolf Sprink: „Wir haben uns einen Spaß daraus gemacht, dieses System zu piesacken.“
Lebenslauf Rolf Sprink
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Statistik über die Eingaben, die allein an das Büro von Erich Honecker in seiner Funktion als Staatsratsvorsitzender geschrieben werden. (Quelle: Bundesarchiv)
„Eine Würdigung des Gen. Ceausescu wird angezweifelt“ Besonders dramatisch sind Eingaben mit einer Unterschriftenliste. Die SED vermutet dahinter gleich eine sich bildende Organisation. Dementsprechend werden die 44 Studenten der Martin-Luther-Universität Halle abgestraft und mancher exmatrikuliert.
Quelle: BStU
Ende der 1980er Jahre mangelt es nicht an Versuchen der DDR-Führung, ihre Haltung gegenüber Rumänien vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen. Auch die SED schickt Korrespondenten nach Rumänien, die auf ihren Reisen jedoch zu ganz anderen Eindrücken kommen:
„Außerordentlich positiv […] wirke sich die vollständige Rückzahlung der Auslandsschulen Rumäniens auf die Lage des Landes und nicht zuletzt auf das Denken seiner Bürger aus. […] In Gesprächen […] wurde immer wieder auf die Ergebnisse allseitiger Zusammenarbeit mit unserem Land verwiesen.“
Rumänien liegt innerhalb der kleinen bereisbaren Welt der DDR. Offizielle Nachrichten werden damit überprüfbar.
„Ich habe mir den Vorschlag zu Herzen genommen und bin nach Rumänien gefahren.“
Als Eingabe formuliert werden eigene Erlebnisse denen des SED-Korrespondenten gegenübergestellt und es wird eine Änderung der Politik gefordert. Das Antwortschreiben relativiert die Verhältnisse, denn im historischen Kontext gesehen, hätte sich in Rumänien eine ganze Menge entwickelt. (Quelle: ABL)
Anstehen vor einem Lebensmittelladen in Bukarest, 1986. Quelle: Privat
Am 15. November 1988, zum ersten Jahrestag der Arbeiterproteste in Braşov, rufen verschiedene europäische Menschenrechtsgruppen und Exil-Rumänen zu einem weltweiten Aktionstag gegen die rumänische Diktatur auf.
Plakat: Aufruf zu einem weltweiten Aktionstag gegen die rumänische Diktatur (Quelle: ABL)
In der Wahrnehmung der Menschen hat das Bündnis zwischen Honecker und Ceauşescu Symbolcharakter gegen jedwede Veränderung in der DDR. Solidaritätsaktionen mit dem rumänischen Volk werden dadurch automatisch zu oppositionellen Handlungen gegen die SED. Aktionsorte sind kirchliche Räume und die Kommunikation kann nur in den Zeitschriften des Untergrundes stattfinden. Darin finden sich auch kritische Stimmen, nämlich inwieweit ein Engagement für Rumänien „echt“ sei oder nur dem oppositionellen Ego gegen die DDR diene.
Zeitschriften des Untergrundes (Quelle: ABL)
Der Aktionstag bringt deutsch-deutsche Kulturprojekte „von unten“ zusammen. So findet u.a. unter dem Titel „Europäische Normalität?“ eine zeitgleiche Fotoausstellung in West-Berlin und Potsdam statt.
Ausstellung Europäische Normalität? (Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)
„Wir dürfen nicht schweigen!“
Bereits am 29.10.1988 findet in Leipzig ein „Tag der Solidarität mit Rumänien“ statt. Dabei wird eine Protesterklärung erarbeitet, die von 89 Teilnehmern unterzeichnet wird. Das Schreiben findet Verbreitung in Ost und West. Am 27.1.1989 findet hier ein zweiter „Leipziger Rumänientag“ statt. (Quelle: ABL)
Eine Mobilisierung erfahren die Aktionen durch die gleichzeitig stattfindende Friedensdekade der evangelischen Kirche und dem angekündigten Besuch Ceauşescus in der DDR zwei Tage später.
Veranstaltungen mit größerer Ausstrahlung finden in vielen Städten der DDR statt.
Orte anzeigen/ausblendenWernigerode15.11. Andacht und Geldsammlung Leitzkau Thema der Friedensdekade der evangelischen Kirche, Briefaktion an Erich Honecker und Nicolae Ceausescu Naumburg 15.11. Podiumsdiskussion Leipzig 29.10. Rumänientag in der Stephanuskirche L.-Mockau 27.1.1989 zweiter Rumänientag in der Pauluskirchgemeinde L.-Grünau Zwickau 15.11.1998 Informationsveranstaltung und Resolution an die UNO Berlin 21.10. Informationsabend und Paketaktion in der Elias-Gemeinde 1.11. Friedensgebet in der Golgatha-Gemeinde 13.11.-20.12. Ausstellung der "Initiative Frieden und Menschenrechte" in der Gemeinde am Fennpfuhl 14.11. Lesungen / Gespräche / Fotos im Friedenskreis Friedrichsfelde 15.11. Informationsabend der "Initiative Frieden und Menschenrechte" in der Gethsemane-Gemeinde mit ca. 700 Besuchern 16.11. Gottesdienst und Solidaritätskonzert in der Gemeinde am Fennpfuhl Potsdam 15.11. Ausstellung und Informations- veranstaltung Markleeberg 16.11. Information und Fürbitte Stollberg 15.11. Berichte und Informationen Dresden 15.10.-16.11. Ausstellung und Abend- veranstaltungen in der Versöhnerkirche 15.11.1988 Rumänienabend im Gemeindehaus Leubnitz Meissen Friedensseminar im Oktober, seit mehreren Jahren laufende Info- und Paketaktionen für Rumänien Spremberg 15.11. Solidaritäts- und Informationsabend im Ortsteil Graustein Zittau 14.11. Informationsabend, Offener Brief an Erich Honecker, Organisation von Hilfstransporten nach Brasov |
Dieses Engagement und diese Anteilnahme erklären das große Interesse von DDR-Bürgern am rumänischen Schicksal im Dezember 1989.
Quelle: ABL / M. Kellermann
Mit dem Machtverlust der SED im Zuge der Herbstdemonstrationen 1989 verschwindet eins der zwei politischen Hemmnisse für eine direkte Hilfe nach Rumänien. Bereits ab November werden neue Hilfslieferungen unternommen und das Ceauşescu-Regime jetzt offen bekämpft.
Anlässlich des 2. Jahrestages des Aufstandes in Braşov ziehen am 15.11.1989 ca. 300 Demonstranten vor die rumänische Botschaft in Berlin. Aufgerufen hatte dazu der Berliner Verband der Bildenden Künstler.Quelle: Bundesarchiv
Schweigemarsch am 20.11.1989 in Berlin | Quelle: Bundesarchiv
Innerhalb von 11 Tagen befreit sich das rumänische Volk von seinem Despoten. Doch dabei verlieren etwa 1.100 Menschen ihr Leben und 3.350 werden verletzt.
(Quelle: Memorial der Revolution Timişoara)
Mit verschiedenen Protest- und Solidaritätsaktionen verfolgt man in der DDR das Geschehen in Rumänien. Die Gewalt zeigt, wozu eine Diktatur fähig ist und was den Menschen in der DDR auch hätte passieren können.
(Quelle: ABL / B. Heinze)
Der Auslöser am 15. Dezember 1989 in Timişoara
Der Beginn der Revolution am 16. Dezember 1989 in Timişoara
Die Hinrichtung der Ceauşescus am 25. Dezember 1989<
Auch nach der Revolution finden sich immer wieder Menschen die Hilfstransporte nach Rumänien organisieren. Anfang 1990 können sie dabei noch auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur Solidarität bauen.
Quelle: ABL / St. Walter
Bezahlte Freistellung für einen Hilfstransport nach Rumänien | Quelle: ABL
Ungleich schwerere Bedingungen als in der DDR herrschen in Rumänien beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen. Menschenrechtsverletzungen sind nach wie vor aktuell. Große Teile des alten haben sich im neuen Machtapparat unter Führung von Ion Iliescu festgesetzt. Mit der für den 20. Mai 1990 anberaumten Parlaments- und Präsidentenwahl sollen sich alte Machtstrukturen festigen.
Am 22. April 1990 besetzt ein Bündnis aus Studenten, Geistlichen, Oppositionsgruppen und bürgerlichen Parteien den zentral gelegenen Universitätsplatz in Bukarest. Die Belagerung wird zum friedlichen Dauerprotest gegen die Regierung Iliescu und zum allabendlichen Happening. Bis zu 10.000 Menschen versammeln sich Tag für Tag in der – wie man es taufte – „kommunismusfreien Zone“.
Nach dem überwältigenden Wahlsieg von Iliescu entsteht eine regelrechte Zeltstadt mit internationaler Beteiligung.
Es kommt zu Provokationen und Randale für die Iliescus Geheimpolizei verantwortlich gemacht werden. Am 13. Juni umstellt die Polizei das Gelände und beginnt den Platz zu stürmen.
Es kommt zu regelrechten Straßenschlachten. Diese Provokation nutzt Iliescu, um Bergleute gegen die „Faschisten“, wie er die Demonstranten betitelt, nach Bukarest zu holen.
Ion Iliescu: „Wir möchten, dass Sie diesen Platz wieder besetzen.“
Am Vormittag des 14. Juni erreichen tausende Bergarbeiter aus dem Schiltal in Sonderzügen die Hauptstadt. Sie machen Jagd auf alles, was ihnen intellektuell erscheint. Viele Bukarester sehen zu und spenden Beifall. Unter den etwa 1.200 Festgenommenen sind auch viele Roma, die mit den Protesten gar nichts zu tun haben. Neben Hunderten von Verletzten kommen sechs Menschen ums Leben. (Quelle: archiv.org)
Am Tag darauf dankt Iliescu den Bergleuten persönlich für ihre „patriotische“ Tat. Zur Verantwortung gezogen für diesen brutalen Exzess wird niemand.
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