Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Alle Artikel, Audios und Videos zu Jugoslawien.

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Mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki im Sommer 1975 versuchen erstmals die Staaten West- und Osteuropas unter Einbeziehung der USA und Kanada die Entspannung in Europa durch multilaterale Zusammenarbeit zu sichern.
Bis auf Albanien unterschreiben alle sozialistischen Länder Europas am 1. August die Schlussakte von Helsinki. Es werden Leitlinien zur Verbesserung der sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und humanitären Beziehungen aufgestellt. (Quelle: Net.Film)

Helsinki 1975
Quelle: Drug Tito, Tiskarna Ljubljana

Im Rahmen des KSZE-Prozesses kommt es zur neuerlichen Annäherung mit der Sowjetunion nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968: Leonid Breschnew (l.) und Tito in Helsinki, 1975

Titos letzter Sieg

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Quelle: Tito: Život i Delo, Vuk Karadzič, BeogradAm 4. Mai 1980 tritt ein wovor viele Angst haben: Tito ist tot.
Er stirbt nach schwerer Krankheit im Alter von 87 Jahren im Krankenhaus von Ljubljana.
Seinem autoritärem Führungsstil und seinem Charisma ist es geschuldet, dass die heillos zerstrittenen jugoslawischen Kommunisten am Machtmonopol festhalten können.
Seinem Instinkt ist es geschuldet, dass die konkurrierenden Machtblöcke ein „blockfreies“ Jugoslawien akzeptiert haben und damit der Versuch eines „dritten Weges“ erst möglich wird.

„Tito ist Jugoslawien – Jugoslawien ist Tito“

Titos Tod löst ehrliche Trauer in der Bevölkerung aus, trotz seines ausufernden Personenkults in den 1970er Jahren. Die Überführung der Leiche von Ljubljana nach Belgrad in Titos persönlichem „Blauen Zug“ wird zu einem beeindruckenden Bekenntnis gegenüber der Person Tito.

 

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Titos letzter Sieg: Titos Staatsbegräbnis am 8. Mai wird zum „Who is Who“ der großen Politik und vereint mitten im Kalten Krieg Vertreter aus 127 Ländern. Darunter: 4 Könige, 5 Prinzen, 31 Staatspräsidenten, 22 Premierminister, 47 Außenminister

 

Ausdruck seiner weltweiten Anerkennung (und den Versuchen seiner politischen Vereinnahmung) ist u.a. die Verleihung von 98 Orden in 58 Staaten.

 

Personenkult

Um Tito entsteht auch in Jugoslawien ein Personenkult, wie es allen autoritären Regimen gemein ist. So huldigt ihm z.B. die Jugend alljährlich am 25.Mai, dem „Tag der Jugend“ und gleichzeitig seinem Geburtstag. Dazu finden „Stafettenläufe“ durch das ganze Land statt.
Zugleich umgibt sich der Mensch Josip Broz mit einem Luxus, der den allgemeinen Verhältnissen unangemessen ist: 25 Residenzen und Villen, der persönliche „Blaue Zug“, die Edeljacht „Galeb“ nennt er u.a. sein Eigen.

 

Quelle: Drug Tito, Tiskarna LjubljanaDie integrative Kraft Titos beruht auf der kritiklosen Anerkennung seiner Leistungen bei der Befreiung des Landes im Zweiten Weltkrieg. Er war, ist und bleibt der Marschall. Ihm zu Ehren werden neben Bildern und Statuen auch zahllose Hymnen verfasst.

Unser Anführer

Er ist aus Eisen, aber in diesem Eisen schlägt
ein warmes Herz. - Wenn er die Arme himmelwärts hebt,
reicht er bis an die Wolken aus dunklem Licht der Flammen;
Wenn er läuft, zerbirst unter seinen Hacken das Eis.


Und so führt er uns an. - Wir wissen nicht, ob er
ein Sohn der heutigen Zeit, eine Figur uralter Geschichten ist:
Wir schreiten voran mit ihm, immer fester und weiter.
Und die Hoffnung keimt immer stärker in uns.


(Vladimir Nazor)

(Quelle: Übersetzung aus Drug Tito, Tiskarna Ljubljana)

 

Eintrittskarte
Eintrittskarte ins Tito-Memorial; Quelle: ABL

Nach Titos Tod wird ihm in Belgrad ein Erinnerungskomplex gebaut, mit Mausoleum und Museen der Heldenverehrung (Kuča cveča – Haus der Blumen).

Legitimationskrise

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Nach dem Tod Titos macht sich eine gewisse Unsicherheit breit. Sie betrifft mögliche außenpolitische Konflikte. Man fürchtet, dass der Warschauer Pakt die Situation nutzen könne, um Jugoslawien zu destabilisieren.
Aus dieser Sorge heraus rückt Jugoslawien noch einmal kurzzeitig zusammen: „Nach Tito? - Tito!“ lautet die Perspektive.
Auf Tito folgen bis zum Ende Jugoslawiens 14 weitere Staatspräsidenten! Gemäß der Verfassung von 1974 setzt sich das Staatspräsidium als oberstes jugoslawisches Gremium nach Titos Tod aus je einem Vertreter der Republiken (6), den autonomen Gebieten (2) sowie dem Staatspräsidenten (1) zusammen. Im Rotationsprinzip wird jährlich ein neuer Präsident gewählt. Die acht Mitglieder des Präsidiums werden von den Länderparlamenten auf fünf Jahre bestimmt.
Die eigentliche politische Macht liegt aber bei der Partei und in den Republiken.

Quelle: ABLDie Anzeichen für eine sich überschlagende Inflation ist Anfang der 1980er Jahre unübersehbar. Der Import ist nur zu 53% vom Export gedeckt. Jugoslawien gerät in eine Schuldenkrise, die sich im Laufe der 1980er Jahre noch verstärkt. So wird 1987 der US-Dollar mit 1.244 Dinar gehandelt. Dazu kommt eine immense Inlandsverschuldung.
Es beginnt ein Kampf um die wirtschaftliche Existenz des Landes, der jedoch zu spät begonnen wird. Darüber hinaus verhindern die konkurrierenden politischen Eliten notwendige Veränderungen. Durch den Dauerkonflikt zwischen Dogmatikern und Reformern entsteht nie ein nötiger Grundkonsens.

Nach dem Tod Titos gerät Jugoslawien in den 1980er Jahren in eine Legitimationskrise, die der Staat nicht lösen kann. Alles, was die Menschen mit einem gewissen Stolz verbunden haben, bricht allmählich weg:
-> Der Wohlstand verschwindet.
-> Das Sozialismus-Modell der Selbstverwaltung erweist sich als unfähig, die wirtschaftliche Krise zu bewältigen.
-> Die Bedeutung der „Blockfreiheit“ und das außenpolitische Gewicht schwinden mit der Entspannungspolitik Mitte der 1980er Jahre.

In das entstehende Vakuum treten verstärkt nationalistische Elemente, zur Legitimation separatistischer Entwicklungen.

 

Kosovokonflikt

Durch die Krise des politischen und wirtschaftlichen Systems entladen sich die nationalen Konflikte. Das Dogma „Wir sind Kameraden“ tabuisiert die tradierten und jahrelang schwelenden Ressentiments.
Am 11. März 1981 brechen die ersten Unruhen an der Universität in Priština, der Hauptstadt des Kosovo, aus. Zunächst erheben die Studenten rein soziale Forderungen über den Zustand der Wohnheime und des Mensaessens. Schnell wird daraus ein politischer Protest als sich tausende Kosovo-Albaner anschließen. Die weitverbreitete Perspektivlosigkeit (23 % Arbeitslosigkeit) bildet dabei den Nährboden für nationalistische Strömungen.

Enver Hoxha | Quelle: Net.FilmDie Demonstranten fordern soziale Gerechtigkeit und den Republik-Status für den Kosovo. Perspektivisch will man die Vereinigung mit Albanien. Der greise albanische Diktator Enver Hoxha erfährt noch eine späte Ehre, denn er wird für viele zur Symbolfigur einer Kosovo-albanischen Freiheit.
Was die Kosovo-Albaner nicht wissen, dass Hoxha zugunsten seiner Unabhängigkeit auf den Kosovo verzichtet.
Nach tagelangen Unruhen werden die Demonstrationen durch Polizei und Militär niedergeschlagen.

Der im Mai 1982 veröffentlichte „Appell zur Verteidigung der serbischen Bevölkerung und seiner Heiligtümer im Kosovo“ von 21 serbisch-orthodoxen Priestern ist der Auftakt eines nationalistisch geführten Diskurses in Serbien, der das gewaltsame Vorgehen rechtfertigt und der Jugoslawien in der Folgezeit erschüttert.

Quelle: Net.FilmDie Geschichte wird dabei gnadenlos instrumentalisiert. So wird u.a. Kosovo Polje zu einem der wichtigsten serbischen Erinnerungsorte. Hier fand am 28. Juni 1389 (Vidovdan) die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) statt. Eine der Legenden meint, hier habe Serbien das „europäische Christentum vor der osmanischen Eroberung geschützt“. Seit dem 19. Jahrhundert dient dieses Ereignis dem serbischen „Nationalmythos“.
In Kosovo Polje liegt jetzt das Zentrum der serbischen Protestbewegung gegen die Kosovo-Albaner.

 

Die nationalen Konflikte im Kosovo schaukeln sich im Laufe der 1980er Jahre immer weiter hoch und eskalieren. Serbien betrachtet dabei die Lösung des Konflikts als eine rein innere Angelegenheit und verwahrt sich gegen Einwände anderer Teilrepubliken als unerlaubte Einmischung von „außen“. (Quelle: Net.Film)

Der Kosovokonflikt eskaliert

Die Mobilisierungsmechanismen seitens der Serben sind:
- Kanalisierung der allgemeine Unzufriedenheit unter den Kosovo-Serben durch nationale Extremisten
- Duldung und schließlich Förderung durch die serbische Politik
- ideelle Legitimierung durch die Kirche, den Intellektuellen und in der Folge durch die Politiker

 

„Antibürokratische Revolution“ 1987-89

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Überschrift

„Sind wir schuld oder die Funktionäre?“: Die wirtschaftliche Situation scheint nicht mehr beherrschbar. Die Inflation überschlägt sich. Wie zwei Seiten einer Medaille ist die politische Krise damit verbunden. Die Unzufriedenheit der Menschen richtet sich gegen die eigene Führung. Forderungen nach Veränderungen werden immer lauter.
In dieser Situation fällt die Akzeptanz eines „starken Mannes“ leicht.
(Quelle: Net.Film)

Slobodan Miloševićs, Februar 1989 | Quelle: ČTKIn die Dynamik des nationalistischen Widerstreits und der weitverbreiteten Unzufriedenheit hinein betritt Slobodan Miloševićs die politische Bühne in Serbien. Ab 1984 KP-Chef von Belgrad und seit 1986 serbischer Parteichef wird er 1987 unfreiwillig zum Volkstribun und springt auf den nationalistischen Zug auf.

 

„Wie können Sie es zulassen, dass gegen dieses Volk der Schlagstock erhoben wird?“: Im April 1987 verhandelt Miloševićs in Priština mit Kosovo-albanischen Politikern. Zu diesem Anlass findet eine Demonstration von Kosovo-Serben statt, die den nationalen Gefühlen Ausdruck gibt.
Die Demonstration wird von albanischen Polizisten gewaltsam aufgelöst. (Quelle: Net.Film)

In dieser Situation stellt sich Miloševićs vor die aufgebrachte Menge und ruft:

„Niemand darf euch schlagen!“

Diesem wohl eher beschwichtigend gemeinten Satz wird in der Folge eine symbolische Überhöhung beigemessen und die Kosovo-Serben interpretieren darin ein nationales Fanal:

„Niemand darf UNS SERBEN schlagen!“

Die nationalistische Hysterie hat jetzt ihren „Führer“ gefunden.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre verbindet Miloševićs die nationale Rhetorik mit stalinistischen Kampfbegriffen: Was im Kosovo geschieht ist „Konterrevolution“! Für Parteikreise bedient er damit die Sehnsucht nach dem revolutionären „Titoismus“ und der Einheit der Partei. Auf einer Sitzung der serbischen KP im September 1987 „putscht“ er sich als „neuer Tito“ mit seinen Gefolgsleuten an die Spitze der serbischen Politik. Damit beginnt die „antibürokratische Revolution“. In der Folge gelingt es Miloševićs die überregionalen serbischen Medien durch Personalveränderungen gleichzuschalten.

Durch Populismus zur Manipulation

gleichschaltung
„Politika“ und „Politika Express“ gehören zu den einflussreichen, überregionalen (serbischen) Tageszeitungen. Darin äußert sich nun der „Volkswille“ | Quelle: Net.Film, ABL

Miloševićs‘ Ziel ist die Stärkung Serbiens in der Machtbalance zwischen den jugoslawischen Republiken durch entsprechende Verfassungsänderungen. Die „antibürokratische Revolution“ soll daher nicht etwa bürokratische Strukturen abbauen. Vielmehr zielt die „Bürokratie“ als Kampfbegriff auf politische Kader in den Provinzen, die den Status Quo (Gleichberechtigung) in Serbien aufrechterhalten wollen. In dem Moment, wo diese daran festhalten, hätten sie, so Miloševićs, die Bindung zum (serbischen) Volk verloren.

Meeting in Priština | Quelle: net-filmZunächst sollen die Führungspositionen der beiden autonomen Provinzen innerhalb Serbiens durch den „Volkswillen“ mit Anhängern von Miloševićs besetzt werden. Der Souverän ist aber nicht mehr laut kommunistischer Ideologie die „Arbeiterklasse“ sondern die Ethnie „Volk“.

 

Meeting in Priština | Quelle: net-filmSeit Mitte 1988 beginnt in Serbien eine Welle von bestellten Demonstrationen, sogenannten „Meetings“, die Ausdruck des spontanen „Volkswillens“ sein sollen. Dahinter steht ein eigens errichtetes Organisationskomitee, dass bis zum Frühjahr 1989 ca. 100 „Meetings“ organisiert. Die Teilnehmer werden kostenfrei mit Bussen zu den Veranstaltungen gefahren und werden verpflegt. Die serbische Propaganda in den Massenmedien leistet ihr übriges, um die betreffenden Politiker zum Rücktritt zu zwingen. Damit wird der Platz frei für Miloševićs‘ Parteigänger.

Zuerst „fällt“ am 6. Oktober 1988 die autonome Provinz Vojvodina. Bevor man sich an das schwer zu erobernde Kosovo macht, soll die den Serben traditionell verbundene Regierung der Republik Montenegro „wegdemonstriert“ werden. Einzig Slowenien und die Bundespartei protestieren, denn jetzt rüttelt Serbien unmittelbar an den Grundfesten des Staates. Lange hat sich Montenegro gesträubt, doch am 11.1.1989 hat Miloševićs auch diese „Schlacht“ geschlagen.

Neues Deutschland 8./9.10.1988 Neues Deutschland 15./16.10.1988
Neues Deutschland 8./9.10.1988 Neues Deutschland 15./16.10.1988

„Sie haben das Volk verraten!“: Bleibt der Kosovo. Hier kann Miloševićs sein Ziel nur mit Gewalt, Verhaftungen und Einschüchterung durchsetzen. Über den Kosovo wird der Ausnahmezustand verhängt. Es gibt Tote.
Den Rückhalt und die Legitimation liefern Miloševićs die „Meetings“ in Serbien.

KoS.O.S.ovo (Quelle: Net.Film)

Die verunsicherten Parlamente der Vojvodina und des Kosovo stimmen am 23. März 1989 einer serbischen Verfassungsänderung zu. Damit geben die beiden Provinzen ihren Autonomie-Status auf.

 

„Slowenisches Frühling“

Quelle: ČTKEtwa zur gleichen Zeit wie Miloševićs in Belgrad wird Milan Kučan 1986 Parteichef der slowenischen KP. Auch er verhält sich zunächst sowohl dem Bund als auch den nationalen Vorstellungen und Forderungen innerhalb der slowenischen Gesellschaft gegenüber loyal. Doch mit dem Ausbruch des „Slowenischen Frühlings“ 1988 wird er zum Gegenspieler der serbischen Politik.

Ähnlich wie beim „kroatischen Frühling“ 1971 oder der „antibürokratischen Revolution“ setzten zunächst Intellektuelle die ersten Zeichen. Bereits 1987 wird ein „slowenisches Nationalprogramm“ verfasst, dessen Grundtenor ist: Wenn Slowenien innerhalb Jugoslawiens keine Entwicklungsmöglichkeiten (Marktwirtschaft, Demokratie, Zivilgesellschaft) hat, dann solle die Republik unabhängig werden. Diese Provokation und die darauf folgende heftige Debatte in Jugoslawien bilden das Vorspiel für die Massenproteste des Jahres 1988, dem sogenannten „slowenischen Frühling“.

 

Quelle: net-filmDen unmittelbaren Anlass bildet ein Artikel in der slowenischen Jugendzeitschrift „Mladina“, der, bevor er erscheinen kann, verboten wird. Das vom sozialistischen Jugendverband Sloweniens herausgegebene Wochenblatt war jahrelang parteitreu und schreibt jetzt frech und witzig für sozial Schwache, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, gegen Personenkult, die Todesstrafe, Umweltverschmutzung und Atomkraftwerke. Unter dem Titel „Die Nacht der langen Messer“ soll am 10. Mai 1988 ein Artikel erscheinen, der investigativ die Planungen der jugoslawischen Volksarmee zur Niederschlagung der slowenischen Oppositionsbewegung beschreibt.

 

Vier der Zeitungsmacher werden wegen „Verrats von Militärgeheimnissen“ verhaftet und durch ein Militärgericht in nichtöffentlicher Verhandlung zu Haftstrafen verurteilt. Die slowenische Gerichtsbarkeit hat keinen Einfluss auf den Prozess und die Abhängigkeit vom ungeliebten Staat wird wiederrum deutlich. Es artikuliert sich eine breite Solidaritäts- und Protestwelle. Auf der Agenda stehen jetzt auch die Menschenrechte.
Kučan stellt sich immer offener auf die Seite des Protestes. Slowenien entfernt sich mehr und mehr von Rest-Jugoslawien und dem Miloševićs-Regime.

Verfassungsänderung in Serbien

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Neues Deutschland 8./9.10.1988 Neues Deutschland 15./16.10.1988
Belgrad, 28.3.1989; Quelle: Net.Film

„Um 14.30 Uhr wurde die Demonstration mit Hilfe von Tränengas zerschlagen.“: Am 28. März 1989 nimmt das serbische Parlament die Verfassungsänderungen der (nun nicht mehr) autonomen Provinzen an.
Begleitet wird die Sitzung von gewaltigen Massenprotesten im Kosovo mit vielen Toten und Verletzten.
Der 28. März wird serbischer Nationalfeiertag. (Quelle: Net.Film)

Es beginnt die staatsrechtliche Demontage der Föderation Jugoslawien, denn verfassungsrechtlich entsteht eine widersprüchliche Situation: Zwar gelten die Provinzen in Serbien nicht mehr als stimmberechtigt, aber innerhalb des Bundes sind die Vojvodina und der Kosovo konstitutioneller Bestandteil Jugoslawiens. Im Staatspräsidium entsteht ein serbischer „Block“. Das oberste Staatsorgan ist nahezu entscheidungsunfähig.

Infografik Staatspräsidium

 

Serbischer Opfermythos / 1389 - 1989

Quelle: archive.orgAm 28. Juni 1989 wird in Gezimestan, Kosovo, dem 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) durch eine Massendemonstration gedacht. Der Missbrauch des überlieferten Kosovo-Mythos zur nationalen Mobilisierung der Massen findet seinen emotionalen Höhepunkt. Kristallisationspunkt ist die militärische Niederlage der serbischen Truppen und die Hinrichtung ihres Anführers, Fürst Lasar, durch das osmanische Reich. Damit beginnt der Untergang des mittelalterlichen serbischen Staates.

Die Schlacht und der Ort wirken identitätsstiftend, denn sie bilden die kollektive Erinnerung an den letzten Akt einer „souveränen serbischen Nation“. Es folgen jahrhundertelange türkische Fremdherrschaft und die beiden jugoslawischen Staaten.

Infografik Kosovo-Mythos

Slobodan Miloševićs: „Heute werden wir mit neuen Schlachten konfrontiert.“:
An dem Event nehmen über eine Millionen Menschen teil. Kränze werden niedergelegt. Die Kirche zelebriert einen Gottesdienst. Das Kulturprogramm reiht sich ein in die unüberschaubare Masse an künstlerischen Beiträgen, die 1989 zu diesem Anlass erscheinen.
Vom Himmel herab (mit dem Hubschrauber) kommt der neue „Messias“ Miloševićs. (Quelle: archive.org)

PDF Download: Miloševićs‘ Rede Bild: vusta/iStockphotoMiloševićs‘ Rede ist nicht die „Kampfansage“, zu der sie die westlichen Medien und Politiker später machen werden. Das kann Miloševićs anderen überlassen. Nach seinen gewonnenen „Schlachten“ (Verfassungsänderung, „antibürokratische Revolution“) schlägt er versöhnlichere Töne an.

 

Betrachtet man die historischen Fakten war das alte serbische Reich in den Jahrzehnten vor der Schlacht auf dem Amselfeld durch eigene rivalisierende Feudalfürsten schon lange vorher in der Krise. Es blieb einzig die Erinnerung an einen mittelalterlichen serbischen Staat. Diese Vergangenheit wurde in idealisierter Form durch Heldengesänge und Geschichten weitergetragen. Bestandteil der Verklärung ist die Opfermystik, wonach das eigene Leben in den Dienst der Nation gestellt wird.
Für die Gegenwart rechtfertigt diese mentale Einstellung auch einen Krieg, denn es wäre ein „gerechter Krieg“.

Der monumentale Historienfilm „Boj na Kosovu“ vom Untergang und der Auferstehung des serbischen Volkes im 14. Jahrhundert bediente sich aller künstlerischen, religiösen und historischen Klischees.

Bild aus dem Film: Der monumentale Historienfilm - Boj na Kosovu

Verfassungsänderung in Slowenien

Sechs Monate nach der Verfassungsänderung in Serbien „schützt“ sich das slowenische Parlament gegen die empfundene „Kosovisierung“ ihrer Teilrepublik ebenfalls durch die Änderung der Verfassung. Darin wird u.a. proklamiert, dass die Verhängung eines Ausnahmezustandes (wie im Kosovo) der Zustimmung der Republik Slowenien bedarf. Weiterhin wird das Recht auf nationale Selbstbestimmung festgeschrieben.
Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Veränderungen in anderen sozialistischen Ländern verzichtet der slowenische Bund der Kommunisten auf sein politisches Monopol. Es kommt 1989/90 zur Gründung oppositioneller Parteien. Das macht den Weg frei für die Mehrparteienwahlen im April 1990.

Quelle: ABLDer slowenisch-serbische Gegensatz sprengt im Januar 1990 auch den Zusammenhalt des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ). Auf dem außerordentlichen Parteitag vom 20. bis 22. Januar kommt es zum Eklat. Der serbisch dominierte Kongress verweigert dem slowenischen Antrag zur Abschaffung des „demokratischen Zentralismus“ seine Zustimmung. Unter dem Beifall der serbischen Delegierten verlassen die 114 slowenischen Delegierten die Tagung.
Die Beratungen werden abgebrochen und nie wieder aufgenommen.

Mit dem Hintergrund des Zusammenbruchs der realsozialistischen Systeme in Mittel-Osteuropa finden auch in den jugoslawischen Republiken die ersten freien Wahlen seit 1927 statt.

Den Anfang macht Slowenien am 8. April 1990. Es gewinnt ein Mitte-Rechts-Bündnis und der mittlerweile Ex-Kommunist Milan Kučan wird slowenischer Präsident. (Quelle: net-film)

 

→ 22. April 1990: Kroatien – Sieg für die Kroatische Demokratische Gemeinschaft unter Führung von Franjo Tudjmans
→ November 1990 Makedonien
→ Dezember 1990 Bosnien-Herzegowina: Sieg für die muslimische „Partei der Demokratischen Aktion“
→ 9. Dezember 1990 Serbien: Sieg für die aus der kommunistischen Partei hervorgegangenen Sozialisten
→ 23. Dezember 1990 Montenegro: Sieg für die aus der kommunistischen Partei hervorgegangenen Sozialisten

Außer in Serbien und Montenegro setzten sich antikommunistische, nationalistische Parteien durch.

Auch die jeweiligen Verfassungen werden erneut geändert. Im September beginnt Serbien sich als „souveräner und unabhängiger Staat“ zu erklären. Im Dezember 1990 ziehen Kroatien und Slowenien mit Verfassungsänderungen und einem Referendum nach.

Ein neues Bundesparlament wird nicht gewählt. Unberücksichtigt bleiben nationale Minderheiten. Daher kommt es zu separatistischen Gründungen von autonomen serbischen Gebieten in Kroatien bzw. serbischen und kroatischen Gebieten in Bosnien-Herzegowina.

 

mostar.jpg
Quelle: Bundesarchiv, ABL

Die Brücke von Mostar verbindet den bosnisch (r.) und den kroatisch (l.) besiedelten Teil der Stadt. Sie wird zum Symbol von Krieg (Zerstörung) und Frieden (Wiederaufbau) im ethnischen Konflikt der folgenden Jahre.

Das ist des Ende Jugoslawiens - und der Anfang der Balkankriege der 1990er Jahre.


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