Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Alle Artikel, Audios und Videos zur ČSSR.

Der „Prager Frühling“ ist über die Ländergrenzen hinaus zum Synonym für gesellschaftlichen Fortschritt und Zivilcourage geworden. Im internationalen Kontext stellen die Ereignisse in der ČSSR ebenso wie die zeitgleichen "68er"-Jugendrevolten in der westlichen Welt den Status quo des Kalten Krieges in Frage. Der Begriff „Prager Frühling“ impliziert aber gleichermaßen Wut über die militärische Invasion durch die fünf „befreundeten“ sozialistischen Armeen. Es bleibt das Bewusstsein, dass der Staatssozialismus nicht reformierbar ist. Nach dieser großen Enttäuschung macht sich jahrelange Resignation im Nachbarland breit.
Aus der Erfahrung von 1968 entstehen durch die tschechoslowakische Opposition (Charta 77) in den 1980er Jahren wichtige Impulse für eine europäische Einheit. Im Zentrum steht das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Explizit wird dabei die deutsche Teilung angesprochen als Kulminationspunkt der europäischen Teilung. Innerhalb der europäischen Diskussion wird damit ein Tabu gebrochen.

 

Nachdem die Rote Armee am 4. April Bratislava eingenommen hat, marschiert sie am 9. Mai in Prag ein. Aus dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren wird wieder die Tschechoslowakische Republik (ČSR), wie sie nach dem I. Weltkrieg 1918 entstanden ist.

Prager Aufstand: Am 5. Mai 1945 beginnt der Aufstand in Prag gegen die deutschen Besatzer. Noch fast 3.000 Menschen verlieren in den letzten Kämpfen des Krieges ihr Leben. Unterstützt werden die Tschechen durch die sogenannte Wlassow-Armee (Russische Befreiungsarmee), die bisher an der Seite Hitlers gegen Stalin kämpfte. Die Aussichtslosigkeit eines Sieges lässt sie nun überlaufen, was sie aber nicht vor Stalins Abrechnung schützen wird. (Quelle: archive.org)

Der Präsident der tschechoslowakischen Exilregierung, Edvard Beneś, bildet auf Befehl aus Moskau die Regierung der „Nationalen Front“ bestehend aus Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialisten, der Katholischen Volkspartei und den slowakischen Demokraten. Ministerpräsident wird Zdenék Fierlinger.

Am 16. Mai 1945 kehrt Beneś aus dem Londoner Exil in sein Heimatland zurück.
Am 16. Mai 1945 kehrt Beneś aus dem Londoner Exil in sein Heimatland zurück. | Quelle: ČTK

Es beginnt ein Kapitel deutsch-tschechischer Geschichte, deren Narben bis heute sichtbar sind und die im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Tschechiens im Jahr 2004 wieder aufbrechen.


Quelle: ABL

Angesichts des Terrors vor und während des Krieges gibt es wenig Skrupel nach Vergeltung gegen die auf tschechischem Staatsgebiet siedelnden Sudentendeutschen (ca. 3 Mio.) und Ungarn. Historisch tiefer liegende nationalistische Ressentiments zwischen Deutschen und Tschechen entladen sich durch die traumatischen Erfahrungen der letzten Jahre in Rache. Mit Bezug auf die deutsche „Kollektivschuld“ wird eine planlose Vertreibung bis hin zum Morden gerechtfertigt.

Aussagen von Edvard Beneś:

Quelle: ABL

PDF Download: Beneś-Dekrete: Die gesamte Habe wird konfisziert | Bild: vusta/iStockphotoBeneś-Dekrete: „Die gesamte Habe wird konfisziert.“
Die sogenannten Beneś-Dekrete, als eine Art „Notverordnungen“ der Exilregierung in London und der Nachkriegsregierung in Prag von 1940 bis 1945 erlassen, rechtfertigen das Vorgehen der Bevölkerung. Mitunter geschieht dies in Absprache mit dem sowjetischen Militär. Von den 143 Dekreten betreffen acht die deutschen und ungarischen Minderheiten.
Ein provisorisches Parlament, im Oktober 1945 gewählt, legitimiert die Dekrete im Nachhinein. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

 

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Churchill, Truman, Stalin | Quelle: Bundesarchiv Völkerrechtliche Legitimierung
Auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 werden die „wilden“ Vertreibungen auch völkerrechtlich legitimiert. Die großen Drei (Churchill, Truman, Stalin) beschließen die ethnische Aufteilung Osteuropas. Neben den Deutschen (ca. 12 Mio.) sind es vor allem Polen (ca. 1,7 Mio.), die z.T. jahrhundertealte Siedlungsgebiete verlassen müssen und in den neugezogenen nationalstaatlichen Grenzen leben sollen.
Der Versuch, die Welt zu befrieden, führt nach dem barbarischen Krieg zu einer neuen humanitären Katastrophe.

Plakat 1945
Quelle: Bundesarchiv

Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen findet eine staatlich sanktionierte Enteignung statt. Dadurch sind diese Ereignisse bis in die Gegenwart brisant. Nach einem jahrzehntelangen Verschweigen in der ČSSR und der DDR weckt eine einsetzende Aufarbeitung die Befürchtung der Rückübertragung alter Eigentümer. Deutsche revisionistische Vorstellungen, z. T. politisch instrumentalisiert, nährten diese Befürchtungen.


Quelle: Archiv hlavního města Prahy Bereits bei den Wahlen am 26. Mai 1946 wurde die Kommunistische Partei (KPČ) mit ca. 40% stärkste Kraft im Parlament und der Kommunist Klement Gottwald Ministerpräsident. Im Laufe des Jahres 1947 beklagten Vertreter der anderen Parteien in der „Nationalen Front“ die immer größeren Eigenmächtigkeiten der KPČ. So wurden massiv eigene Leute in den Sicherheitsapparat integriert und nichtkommunistische Politiker aus der slowakischen Landesregierung gedrängt.

Aus Protest gegen die Ungesetzlichkeiten treten 12 der nichtkommunistischen Regierungsmitglieder am 20. Februar 1948 zurück. Damit wollen sie Neuwahlen provozieren. Doch dieser Rücktritt wird von kommunistischer Seite als Staatsstreich interpretiert und Einheiten des Innen- und Verteidigungsministeriums marschieren auf. Unter dem Druck von inszenierten Massendemonstrationen und Streiks verfügt Staatspräsident Beneš jedoch keine Neuwahlen, sondern vereidigt am 25. Februar stattdessen eine neue Regierung, die kommunistisch dominiert ist.
Nach dem „Februarputsch“ wird Klement Gottwald der neue „starke Mann“.

 

Quelle: ČTK

 

Klement Gottwald: „Demokratisch und parlamentarisch.“
Ausgangspunkt des Februarputsches ist eine große Kundgebung am 21.2. in Prag.
[Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm „Čas ktory zijeme“ - „Die Zeit, in der wir leben“ - von 1968, der die Stimmung des Prager Frühlings einfängt und die Nachkriegsgeschichte reflektiert.] (Quelle: archive.org)

Time-Warner, New York: „Die Ideale werden wir nicht aufgeben.“
Am 10. März 1948 kommt aus mysteriösen Umständen der seit 1940 amtierende tschechoslowakische Außenminister, Jan Masaryk, ums Leben. Er war der Sohn des ersten Präsidenten der Tschechoslowakei von 1918, Tomáś Masaryk. Nachdem Jan Masaryk im Jahr zuvor einem Sprengstoffattentat entkam, stürzt er aus dem Fenster seines Dienstzimmers in der zweiten Etage. Es bleibt ungeklärt, ob er Selbstmord begangen hat oder dazu genötigt wurde. (Quelle: archive.org)

Gerichtsmedizinischer Befund zum dritten Prager Fenstersturz | Quelle: ČTK
Gerichtsmedizinischer Befund zum dritten Prager Fenstersturz | Quelle: ČTK

Auch der schwerkranke Präsident Edvard Beneś wird aus dem Amt gedrängt: Am 9. Mai wird eine neue Verfassung verabschiedet. Beneś tritt am 7. Juni zurück, weil er den von den Kommunisten massiv veränderten Verfassungsentwurf nicht unterzeichnen will. Nachfolger wird Klement Gottwald. Die ČSR kann nun konsequent zu einer „Volksdemokratie“ stalinistischen Typs umgestaltet werden.

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Kirchen danken der UdSSR | Quelle: Neues Deutschland, 7.5.1950
Kirchen danken der UdSSR | Quelle: Neues Deutschland, 7.5.1950

Zu einem Kirchenkampf der besonders schweren Art setzt die KPČ an.
Bereits 1949 werden verschiedene administrative Maßnahmen beschlossen, die die Rolle der katholischen Kirche im bürgerlichen Leben einschränken und ihre Freiheit erheblich begrenzen. So erfolgen die Einsetzung und die Besoldung der Pfarrer nunmehr staatlicherseits. Die Führung der Geburts- und Sterberegister wird an staatliche Stellen gegeben und die allein rechtsgültige Ziviltrauung vor den Behörden verpflichtend.

Gottwald will die Gründung einer „Nationalkirche“. Mit der ins Leben gerufenen „Katholischen Aktion“ befördert man die Loslösung vom Vatikan. Papst Pius XII. reagiert mit einem Dekret, das Katholiken jegliche Zusammenarbeit mit den Kommunisten verbietet.


Quelle: ČTK

1950 geht die tschechoslowakische Regierung gegen die religiösen Orden des Landes vor. Im Rahmen der „Aktion K“ werden sämtliche Mönche in Sammelklöstern zusammengeführt oder kommen in Internierungslagern. Ein Großteil der Klosterlandschaft wird liquidiert. Auch die Frauenklöster werden auf diese Weise aufgelöst. Die geräumten Gebäude beziehen die Armee und andere staatliche Institutionen. Viele Mönche werden zum Militärdienst eingezogen oder zur Arbeit in der Landwirtschaft, in Fabriken und Wäldern gezwungen. Die Verhaftungen und Gefängnisstrafen für Geistliche sind in diesem Zusammenhang zahlreich.


Quelle: ČTK

Unter diesen Bedingungen bildet sich in den Folgejahren parallel zu den offiziellen Strukturen eine illegale Untergrundkirche, die Ecclesia Silentii (Kirche des Schweigens) heraus. Sie vollzieht dabei ganz eigene Gebote. Eine große Anzahl von Laien, auch Verheiratete und Frauen werden im Untergrund oder im Ausland zu Priestern geweiht. Hintergründe für diese ungewöhnlichen Schritte sind, dass verheiratete Männer vor der Entdeckung als Geheimpriester durch die Staatssicherheit unverdächtiger wirken. Ebenso Frauen, die zudem auch eine Seelsorge z.B. in Frauengefängnissen gewährleisten können.
Erfurt wird für die tschechoslowakische Untergrundkirche zu einem wichtigen Zentrum. Unter seinem Bischof Hugo Aufderbeck werden circa 20 Priester geheim geweiht. Aufderbeck wird bei der Liturgie von seinem Weihbischof Joachim Meisner unterstützt, dem späteren Kardinal und Erzbischof von Köln. Als dieser zwischen 1980 und 1989 Bischof von Berlin ist, weiht er selbst an die 60 Priester für die tschechische Untergrundkirche. In der DDR finden solche Weihen auch in Dresden und Görlitz statt.

Quelle: BStU

Quelle: BStU

Der tschechoslowakische Geheimdienst beschäftigt eigens eine Sonderkommission, die sich ausschließlich der Untergrundkirche widmet. Das Beispiel von 1976 zeigt, dass man dabei auf die Unterstützung der DDR-Staatssicherheit zählen kann.

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Eine Kontinuität der kommunistischen Machtkonsolidierung in Mittel-Osteuropa bilden Schauprozesse mit vorgefertigten Todesurteilen.
Nachdem die tschechoslowakischen Kommunisten gegen die Vertreter anderer Parteien vorgegangen waren, kommt es Anfang der 1950er Jahre auch zu „Säuberungen“ innerhalb der eigenen Partei. Prominente Opfer sind z.B. Rudolf Slánský, 1945-1951 Generalsekretär der KPČ und Gustáv Husák, der spätere Staatspräsident der ČSSR, der wegen „bourgeoisem Nationalismus“ 1951 verhaftet und 1954 zu lebenslanger Haft verurteilt aber später rehabilitiert wird.

Rudolf Slánský | Quelle: ČTK Am 24. November 1951 wird Slánský verhaftet.
Nach einem halben Jahr Haft und zahllosen Verhören gibt Slánský jeden Widerstand auf und bekennt sich zu den unglaublichsten Anschuldigungen, eine „trotzkistisch-titoistisch-zionistische Verschwörung“ geplant zu haben.
Der von Stalin diktierte Zeitgeist, der Wandlung eines traditionellen Antisemitismus in Antizionismus, fördert den Verschwörungsmythos. Jeder Jude ist ein potentieller „prozionistischer“ Agent, der den „israelischen Großkapitalisten“ in die Hände spielt.

Durch sein Geständnis werden auch angebliche Mittäter verhaftet, so dass sich schließlich 14 jüdische Angeklagte vor Gericht wiederfinden. Einer der Angeklagten ist Vladimír Clementis, Außenminister und Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei.
Slánský und Clementis werden am 3. Dezember 1952 mit acht weiteren Mitangeklagten hingerichtet.

Manipulation und Suggestion

Auch die Tschechoslowakei hat ihre „Mützengeschichte“ (siehe Rumänien 1979): Milan Kundera erzählt in seinem Roman „Das Buch vom Lachen und Vergessen“ folgende Anekdote: Als die Funktionäre der Kommunistischen Partei während des „Februarputsches“ am 21. Februar 1948 auf den Balkon eines Prager Barockpalais treten, um zu den Menschen zu sprechen, ist der kommunistische Führer Klement Gottwald an diesem kalten Tag ohne Kopfbedeckung. Vladimír Clementis (l.) gibt dem Genossen seine Pelzmütze – das Foto wird von der Presseabteilung veröffentlicht. Nach den „Säuberungen“ werden auch die Bilder und damit die Erinnerungen „gesäubert“. Das retuschierte Foto zeigt Gottwald allein auf dem Balkon – doch die Pelzmütze von Clementis lebt weiter.

Quelle: ČTK
Clementis‘ Mütze hin oder her – das Beispiel zeigt, wie Geschichte zum Zwecke der Legitimation manipuliert wird. Es wird die suggestive Kraft eines Fotos als scheinbar objektive Momentaufnahme genutzt. Was man nicht sieht, hat es auch nie gegeben und bleibt tabu.

 

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Briefmarke mit dem Bild von Klement Gottwald | Quelle: ABL Am 14. März stirbt Klement Gottwald an einer Lungenentzündung. Makaberer weise hat er sich diese auf der gigantischen Trauerfeier nach Stalins Tod am 5. März eine Woche zuvor in Moskau geholt.
Für Gottwald wird in das nationale Befreiungsdenkmal auf dem Prager Veitsberg ein Mausoleum integriert. Die Einbalsamierung seiner Leiche nach sowjetischem Vorbild misslingt allerdings, so dass die Mumie zerfällt und schließlich 1962 verbrannt wird. Die Urne wird im Mausoleum beigesetzt.


Nachfolger von Gottwald wird am 21. März der bisherige Regierungschef Antonín Zápotocký.

Quelle: ABL

Bereits im Jahr zuvor durch Gottwald vorbereitet, kommt es am 1. Juni 1953 zu einer Währungsreform, um die marode Wirtschaft zu sanieren und die leeren Staatskassen zu füllen. Der festgelegte Umtauschkurs und der Einbehalt alter Spareinlagen vernichtet praktisch alle Ersparnisse der Bürger und senkt den Lebensstandard.

Neues Deutschland, 10.6.1953 Jeder Bürger darf nur 300 Kronen im Verhältnis 5:1 umtauschen, ansonsten ist der Kurs 50:1. Aus 100 Kronen werden über Nacht also 2 Kronen. Jahrelange Ersparnisse werden wertlos. Gleichzeitig wird die Rationierung durch Lebensmittelkarten abgeschafft. Die nun einheitlichen Preise der Grundnahrungsmittel und anderer Waren steigen plötzlich sprunghaft an.

 

Kronen | Quelle: ABL
Kronen | Quelle: ABL

Eine Protestwelle erfasst das Land - Streiks, Kundgebungen und Unruhen. Die größte dieser Aktionen findet mit 20.000 Demonstranten am 1. Juni in Pilsen statt. Aus dem sozialen Protest wird schnell ein politischer. Die Demonstranten besetzen öffentliche Gebäude, entwaffnen Einheiten der Volksmiliz, zerstören kommunistische Symbole, versuchen politische Gefangene zu befreien. Erst der Einsatz von Polizei und Militär kann den Widerstand brechen. In Pilsen werden 650 Personen verhaftet, in Ostrau 84, in Prag 61. Weitere Verhaftungen gibt es auch in mehreren kleineren Städten. In der Zeit vom 13. bis 22. Juli finden zahlreiche Prozesse gegen die festgenommenen Personen statt.

Pilsen, 1. Juni 1953 | Quelle: ČTK
Pilsen, 1. Juni 1953 | Quelle: ČTK

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Am 1. Mai wird in Prag eine milliardenschwere Investruine feierlich eröffnet. Nach über fünf Jahren Bauzeit wird die weltgrößte Darstellung Stalins auf dem Prager Letná über der Moldau enthüllt. Das 17.000 Tonnen wiegende Monument stellt zu diesem Zeitpunkt, zwei Jahre nach Stalins Tod, bereits einen Anachronismus dar. Kurz nach der Fertigstellung beginnt die Entstalinisierung durch Chruschtschow. Schon während der Bauzeit ist die 15 Meter hohe Stalin-Figur mit den dahinter arrangierten Figuren Zielscheibe des Spottes der Prager Bürger.

Die weltgrößte Darstellung Stalins | Quelle: Archiv hlavního města Prahy

So fühlt man sich z.B. von der Figurengruppe an eine Schlange Wartender vor einem Fleischerladen erinnert („Fronta na maso“).
Oder: das „Codewort“ für einen kommenden Umbruch heißt jetzt „Bis es plumpst“. Man will dann das Stalin-Denkmal in die Moldau werfen und es wird „plumpsen“.

Die weltgrößte Darstellung Stalins | Quelle: Archiv hlavního města Prahy

Vermutlich hätte das Monument noch lange gestanden, hätte Moskau nicht interveniert. Am 28. Oktober 1962 wird Stalin von seinem Sockel gesprengt. Das Ereignis wird so gut wie möglich totgeschwiegen. Die gesamte Gegend wird während der Demontagearbeiten gesperrt und Fotografieren ist streng verboten. Auch die Zeitungen berichten nichts darüber.

Sprengung am 28. Oktober 1962 | Quelle: Archiv hlavního města Prahy
Sprengung am 28. Oktober 1962 | Quelle: Archiv hlavního města Prahy

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Am 11. Juli 1960 wird eine neue Verfassung erlassen und der bisherige Name Tschechoslowakische Republik (ČSR) in Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR) geändert. Die neue Verfassung schränkt die Slowakei in ihrer bis dato bestehenden Selbstverwaltung durch den slowakischen Nationalrat erheblich ein. Dieser muss seine Kompetenzen nach Prag abgeben. Auch die Beschlüsse der Slowakischen Kommunistischen Partei müssen erst durch die KPČ genehmigt werden.


Staats- und Parteichef Antonín Novotný, der den 1957 gestorbenen Zápotocký ablöste, unterschreibt die neue Verfassung | Quelle: ČTK

Die SED-Propaganda bewertet dieses Ereignis derart, dass die Tschechoslowakei „[…] nunmehr das zweite Land der Welt [ist], das den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus abgeschlossen hat und mit der Errichtung der kommunistischen Gesellschaft beginnt.“ (Neues Deutschland, 13.7.1960)

Internationale Kafka-Konferenz am 27./28. Mai 1963

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Ausschnitte aus Sindermanns Rede auf dem 5. Plenum der SED vom Februar 1964 Horst Sindermann – Kandidat des Politbüros der SED: „Es besteht ein Zusammenhang mit Auffassungen, die von Prag aus zu uns drängen und revisionistischen Theorien in der DDR.“

[Ausschnitte aus Sindermanns Rede auf dem 5. Plenum der SED vom Februar 1964]
Quelle: Neues Deutschland, 13.2.1964

Was ist passiert?

Anfang der 1960er Jahre entsteht ein intellektuelles Klima, in dem eine kritische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus stellvertretend in Kunst und Kultur stattfindet. Für die Tschechen und Slowaken ist die „späte“ Sprengung des Stalin-Denkmals im Jahr zuvor ein Symbol: Mit dem Diktator fällt die dogmatische Nachkriegsvergangenheit.

Briefmarke | Quelle: Archiv Bürgerbewegung e.V.In der ČSSR begünstigte der 12. Parteitag der KPČ im Dezember 1962 diese Tendenz. Auf diesem wurden Fehler und Rechtsverstöße bei den politischen Prozessen der 1950er Jahre eingeräumt. Mehr als „Lippenbekenntnis“ gedacht entsteht daraus eine vorsichtige Entstalinisierungs- und Personenkultdebatte. Eine tragende Rolle spielen dabei vor allem Schriftsteller und Journalisten.
Briefmarke | Quelle: Archiv Bürgerbewegung e.V.Die Parteiführung versucht dem zunächst entgegenzuwirken, aber die eingeübten und bekannten stalinistischen „Regularien“ in Form von Repressionen bleiben relativ wirkungslos.
Die tiefe wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise ist unübersehbar.

Den größer werdenden Handlungsspielraum nutzen die tschechoslowakischen Künstler und es zeigen sich die ersten Vorboten des „Prager Frühlings“ von 1968.

In Liblice, nahe Prag, findet eine Konferenz aus Anlass des 80. Geburtstages des jüdischen Schriftsteller Franz Kafka (1983-1924) statt, der in Prag lebte. Das Werk, des bis dahin in der sozialistischen Welt als bürgerlich dekadent und pessimistisch verfemten Schriftstellers, wird im Rahmen der Tagung aufgewertet. Was wie ein literaturwissenschaftlicher Fachaustausch beginnt, ist in seinem Ergebnis eine gesellschaftspolitische Debatte.

Quelle: ČTK
Quelle: ČTK

Im Mittelpunkt der Diskussion steht das Phänomen der „Entfremdung“ in Kafkas Werk. Obwohl ein derartiges Gefühl im Themenkatalog des „sozialistischen Realismus“ nicht vor kommt, muss man doch eingestehen, dass „Entfremdung“, nicht nur wie bei Kafka zum kapitalistischen, sondern auch zum sozialistischen Alltag gehört. Ebenso zum sozialistischen Alltag gehört die Verleugnung dieser Erscheinung. Dieser Widerspruch wirft nun Fragen über den Zustand der sozialistischen Gesellschaft auf.

Alltag und Leben im Sozialismus

Eduard Goldstücker, Anna Seghers in Liblice | Quelle: ČTKInitiator der Veranstaltung ist der Germanist Eduard Goldstücker, der 1951 selbst Opfer des parteiinternen und antisemitischen Machtkampfes wurde und bis 1955 im Gefängnis saß. Der Freigeist emigriert nach der militärischen Niederschlagung der Reformen im August 1968 nach Großbritannien.
Die DDR-Delegation kann die Intention der Konferenz nicht teilen. Kafka sei zwar historisch bedeutend, seine Texte hätten aber mit der sozialistischen Realität nicht viel gemein.

 

Walter Ulbricht in der Reflektion der Ereignisse vom August 1968, ND, 25.10.1968

Die Kafka-Konferenz von Liblice bildet den Beginn eines intellektuellen Freiraums, der sich im Laufe der folgenden Jahre immer mehr weitet. Die KPČ hat zu lange an der stalinistischen Politik festgehalten und setzt sich dadurch wachsender und immer schwerer zu unterdrückender Kritik aus.

 

Erste Veränderungen

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1963 erreicht die Wirtschaftskrise, die sich seit Mitte der 1950er Jahre immer stärker abzeichnete, ihren Höhepunkt. Auf dem Parteitag im Dezember 1962 wird eine Kommission beauftragt, Grundsätze zur „Vervollkommnung der planmäßigen Lenkung der Volkswirtschaft“ auszuarbeiten. Innerhalb der KPČ etabliert sich eine Opposition, die Staats- und Parteichef Antonín Novotný unter Druck setzt.

Infografik

Die Verstrickung von Regierungsmitgliedern in die „Säuberungen“ der 1950er Jahre führt auf Druck der Partei zu personellen Konsequenzen. Am 21. September muss Novotný die Regierung umbauen. Er entlässt sieben Minister, darunter auch Ministerpräsident Široky.

Überschrift

Zeitungsausschnitt

Im Zuge der Wirtschaftsreformen werden ab 1. Januar schrittweise die Preise freigegeben. Wirtschaftslenker Ota Šik spricht von einer „sozialistischen Marktwirtschaft“. Mit der Bundesrepublik kommt es zu einem Abkommen über Handelsvertretungen und Wirtschaftsbeziehungen.
Visafrei

Mit dem 20.Juni wird die Visapflicht für die Einreise in die ČSSR abgeschafft. Innerhalb von 10 Monaten reisen über eine Million DDR-Bürger in die Tschechoslowakei und knapp eine halbe Million Tschechen und Slowaken in die DDR. Gleichzeitig öffnet sich die Tschechoslowakei immer mehr für den Tourismus aus dem Westen, so dass von ostdeutscher Seite eine Unterwanderung und die Möglichkeit deutsch-deutscher Kontakte auf tschechoslowakischem Gebiet befürchten werden.

Versöhnung oder Konfrontation? Poststalinist Novotný und Reformer Dubćek im Mai 1967 | Quelle: ČTK
Versöhnung oder Konfrontation? Poststalinist Novotný und Reformer Dubćek im Mai 1967 | Quelle: ČTK

Die Spannungen zwischen Dogmatikern und Reformern verschärfen sich im Laufe des Jahres immer mehr. So wird z.B. am 31. November ein Studentenprotest wegen der schlechten Bedingungen in ihren Wohnheimen auf Anordnung Novotnýs gewaltsam aufgelöst. Dieses Vorgehen stößt innerhalb des Zentralkomitees der KPČ auf heftige Kritik.
Selbst als UdSSR-Chef Breschnew im Dezember nach Prag kommt, weigert sich dieser, Stellung für den bedrängten Novotný zu beziehen.

Quelle: Neues Deutschland, 1.12.1967
Quelle: Neues Deutschland, 1.12.1967

 

Ein neues Wahlsystem vom Dezember 1967 verspricht, neue Impulse beim gesellschaftlichen Umbau zu setzen. Es entsteht ein vorsichtiger Pluralismus. Von seinem Führungsanspruch rückt die KPČ aber nicht ab, denn es kann nur unter KP-Mitgliedern ausgewählt werden.

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„Prager Frühling“ – eine Begriffsbestimmung

Das seit 1946 stattfindende Musikfest „Prager Frühling“ wird zum Namensgeber des liberalen Kurses in der ČSSR. Das international angelegte Fest klassischer Musik bemüht sich von Anfang an um Weltoffenheit. Spätestens seit 1964 verkörpert es unmittelbar einen Aufbruch und Neuanfang, denn jetzt ist auch kulturpolitischer Raum für neue tschechische Musik.
Seit 1963 verwenden westliche Medien den Begriff im doppelten Sinne und beziehen sich dabei auf die neuen kulturpolitischen Impulse durch die Kafka-Konferenz 1963, die ebenfalls im Frühjahr stattfand.

Infografik


„Sozialismus mit menschlichem Antlitz“

Alexander Dubček (r.) und Ludvík Svoboda (l.) | Quelle: ČTK Anfang 1968 wird Novotný entmachtet. Im Januar wird zunächst Alexander Dubček (r.) neuer Parteichef und im März löst Ludvík Svoboda (l.) den alten Staatspräsident ab. Daneben wird die Regierung umgebaut. Die Reformer können sich gegenüber den Altkadern durchsetzen.
Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung ist eine Teilamnestie für politische Gefangene und die Einstellung der Strafverfolgung für „Republikflüchtlinge“.
Die neuen Verhältnisse im Nachbarland locken tausende DDR-Touristen an, die sich hier mit Druckerzeugnissen und Schallplatten aus dem Westen eindecken.

Am 5. April beschließt die KPČ das Aktionsprogramm „Der Weg der Tschechoslowakei zum Sozialismus“. Darin geht es um den komplexen Übergang vom Sozialismus sowjetischen Typs zum demokratischen Sozialismus.

Infografik - Sozialismus mit menschlichem Antlitz

Quelle: archive.org
Quelle: archive.org

Im März 1968 wird die Zensur abgeschafft. Jetzt heißt es selbst „Schlange stehen“ vor Zeitungskiosken. Es setzt ein öffentlicher Diskurs in der Gesellschaft ein.

SED-Chef Walter Ulbricht auf der Pressekonferenz nach einem Treffen mit Dubček in Karlovy Vary am 13.8.1968

Am 24. April kommt der Dokumentarfilm „Čas ktory zijeme“ („Die Zeit, in der wir leben“) des slowakischen Regisseurs Vlado Kubenko in die Kinos. Der Film dokumentiert die ersten Monate des Jahres 1968. Die Filmemacher schaffen ein Porträt der Sorgen, Nöte und Hoffnungen der Menschen zu Beginn des „Prager Frühlings“.
Ein Jahr später wird der Film verboten.

„Der Fehler lag bei Novotný.“
„Wir stießen nur auf taube Ohren.“
 
Eduard Goldstücker: „Kein antislowakisches Denken“
Gustav Husák: „Die Meinung des Volkes wird gefragt sein.“
 
Prudy: “Wahrheit und Lüge“
  


 

PDF Download: Manifest der 2000 Worte Bild: vusta/iStockphoto Zu heftigen Diskussionen führt das am 27. Juni veröffentlichte „Manifest der 2000 Worte“ des Schriftstellers Ludvík Vaculík. Darin übt er scharfe Kritik an der alten Funktionärsriege und fordert eine rasche Liberalisierung. 40.000 Menschen unterzeichnen den Aufruf. In der Folge wird nun auch offen die führende Rolle der KPČ in Frage gestellt.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Nach der Invasion kursiert der bittere Witz: „Gegen jedes der 2000 Worte haben sie einen Panzer geschickt!“

 

Invasion der „Warschauer Fünf“

„Dubček – Halten Sie durch“

Čierná nad Tisou, 29.7.1968 | Quelle: ČTK
Čierná nad Tisou, 29.7.1968 | Quelle: ČTK

Sozialistisches Tribunal:
23.3. Dresden: In dem bis zuletzt geheim gehaltenen Treffen der Parteichefs der Sowjetunion, der DDR, Polens, Ungarns, Bulgariens und der ČSSR wird die Möglichkeit einer militärischen Lösung angedacht: Es werden „konkrete Maßnahmen zur Stärkung des Warschauer Vertrages und seiner Streitkräfte“ angekündigt.
8.5. Moskau: Unter Ausschluss der Tschechoslowakei trifft sich die Führungsspitze der Sowjetunion, der DDR, Polens, Ungarns und Bulgariens („Warschauer Fünf“). Die Möglichkeit einer militärischen Intervention wird ab jetzt real. Mit „Zustimmung“ Dubčeks wird ein gemeinsames Militärmanöver in der ČSSR vereinbart.
20.-30.6. Militärmanöver „Šumava“: Offiziell sollen militärische Defensivstrategien der Armeen des Warschauer Paktes geübt werden. Anzunehmen ist jedoch, dass es um praktische Übungen einer militärischen Intervention geht. Die sowjetischen Streitkräfte bleiben bis zum 3. August auf tschechoslowakischem Boden.
15.7. Warschau: Nach einem Treffen – wiederrum unter Ausschluss der ČSSR – richtet die Koalition eine eindeutige Drohung in Richtung Prag. In einem Brief an die KPČ-Führung spricht sie von „Konterrevolution“ und nimmt sich das Recht zur Einmischung heraus.
29.7. Čierná nad Tisou: In dem bilateralen Treffen zwischen Dubček und Breschnew an der slowakisch-sowjetischen Grenze fordert die sowjetische Seite die Wiederherstellung der alten Machtstrukturen in der tschechoslowakischen Gesellschaft.
3.8. Bratislava: Die KPČ wird gezwungen mit den „Warschauer Fünf“ eine gemeinsame Position zu unterschreiben. Damit soll Einigkeit demonstriert werden. Gleichzeitig haben sich die „Warschauer Fünf“ eine Grundlage für eventuelle Sanktionen bei Nichteinhaltung geschaffen.
18.8. Moskau: Auf einem geheimen Treffen beschließen die „Warschauer Fünf“ die Invasion für die Nacht vom 20. auf den 21. August zur Wiederherstellung des kommunistischen Machtmonopols.

 

Quelle: ABL

Sowjetische Truppen landen kurz vor Mitternacht auf dem Flugplatz von Prag, gleichzeitig überschreiten sowjetische, polnische, ungarische und bulgarische Truppen die Grenzen und besetzen innerhalb von 36 Stunden das gesamte Land.

Panzersperre | Quelle: ABL / B. Steven
Panzersperre | Quelle: ABL / B. Steven"

Radio Prag: „Gegen 23 Uhr überquerten Truppen die Staatsgrenze.“
Um 3:55 Uhr rollen die Panzer direkt in das Zentrum von Prag. Bereits um 1:00 Uhr hatte Radio Prag die Bevölkerung über die Invasion informiert und zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Quelle: archive.org

Sofort nach der Besetzung werden Dubček und das gesamte Präsidium der KPČ verhaftet und nach Moskau geflogen. Die Sowjets versuchen, eine eigene Regierung zu installieren. Die KPČ beruft daraufhin am 22. August einen außerordentlichen Parteitag ein, der den Abzug der Besatzungstruppen und die Freilassung der gefangen gehaltenen Parteiführer fordert. Obwohl über sein Schicksal nichts bekannt ist, wird Dubček mit überwältigender Mehrheit als Parteichef bestätigt.

Strassenbahn mit Aufschrift Dubcek | Quelle: ABL / B. Steven
Strassenbahn mit Aufschrift Dubcek | Quelle: ABL / B. Steven

Am dritten Tag der Besetzung fliegt Staatspräsident Svoboda in die Sowjetunion, um direkte Gespräche aufzunehmen. Die gefangen gesetzten Regierungsmitglieder werden auf Bemühen Svobodas zu den Verhandlungen hinzugezogen. Isoliert von der Bevölkerung, ohne Informationen über die Geschehnisse in ihrem Land und einem gewaltigen Druck durch die Sowjetunion ausgesetzt, stimmen Dubček und die anderen Regierungsmitglieder nach viertägigen Verhandlungen am 26. August dem "Moskauer Protokoll" zu. Darin akzeptieren sie die Absetzung einiger der Regierungsmitglieder, darunter Ota Šik, und verpflichten sich, ihren Widerstand aufzugeben und für Ruhe und Ordnung im Land zu sorgen. Im Gegenzug erkennt Moskau Teile des Reformprogramms und die Regierung Dubček an. Außerdem verpflichtet sich die Sowjetunion zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Tschechoslowakei. Das Abkommen legalisiert im Nachhinein die Invasion.

Alexander Dubček : „Lasst uns vereint bleiben.“
Am 27. August ruft Dubček in einer emotionalen Rundfunkansprache seine Landsleute dazu auf, den Widerstand aufzugeben. Quelle: archive.org

Die sowjetischen Zugeständnisse werden in der Folgezeit zurückgenommen. Dubček wird im Jahr darauf entmachtet und als Botschafter in die Türkei abgeschoben. 1970 folgt der Parteiausschluss. Danach arbeitet er streng überwacht in einem Forstbetrieb.

Widerstand

Schleife der tschechoslowakischen Trikolore | Quelle: ABLZum Symbol des Protestes wird die Schleife der tschechoslowakischen Trikolore, die sich die Menschen an ihre Kleidung stecken. Unmittelbar nach der Invasion beginnt der aktive und passive Widerstand. In vielfältiger Weise versucht man, sich den Besatzern zu erwehren.

 

Zeitablauf

Überall, auf Schaufenstern und Hausmauern, auf Lokomotiven und Waggons, auf PKWs und Lastwagen, auf Straßen und Telefonzellen werden Zeichnungen, Karikaturen und Parolen angebracht, die den Soldaten zeigen, wie unerwünscht sie sind.

Quelle: ABL / B. Steven

PDF Download: 10 Gebote des passiven Widerstandes Bild: vusta/iStockphoto"10 Gebote des passiven Widerstandes"
Wesentliche Bedeutung für die Organisation des Widerstandes haben die Massenmedien. Zwar behindern die Besatzer deren Arbeit, unterbinden können sie sie aber nicht. So wird über das Radio und den Zeitschriften u.a. der Verhaltenscodex gegenüber den Besatzern verbreitet.

 

Flugblatt | Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Flugblatt | Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

 

Theater Liberec

Brandenburger in Böhmen
[Titel einer Smetana-Oper]

Nach J.W.Stalin

Regie:
Leonid Breshnew

Dirigent: General Jakubovski

Bühnenbilder und Spezialeffekte:
General Pavlovski

Inspizienten:
Gomulka, Kadar, Shiwkow

Souffleur:
Walter Ulbricht

 

Karel Kryl: „Brüderchen erschrick dich nicht“
Der Liedermacher Karel Kryl schreibt das Lied „Bratřičku, zavírej vrátka“ zwei Tage nach dem Einmarsch. Es avanciert in kürzester Zeit zur Hymne. 1969 verlässt Kryl das Land und geht ins Exil nach München. Es entsteht diese deutsche Fassung. Quelle: Deutsche Nationalbilbliothek, archive.org

Der Widerstand hält eine Woche. Dann übernehmen die Tschechen selbst die Kontrolle im Sinne Moskaus. Die sowjetischen Truppen ziehen sich zurück. Jede gesellschaftliche Teilhabe (Abitur, Studium, Karriere) ist fortan an eine öffentliche Absage an den „Prager Frühling“ gebunden.

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Die niedergeschlagene Alternative in der ČSSR hinterlässt das Bewusstsein, der Staatssozialismus ist nicht reformierbar.

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Am 16. Januar 1969 verbrennt sich der Student Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz selbst. Er will damit seinen Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings zum Ausdruck bringen. In seinem Abschiedsbrief heißt es:

Abschiedsbrief Jan Palach | Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Jan Hus | Quelle: archive.orgAm 19. Januar erliegt Jan Palach seinen schweren Verbrennungen. 200.000 Menschen versammeln sich auf dem Wenzelsplatz. Seine Kommilitonen benennen den Platz vor dem Hauptgebäude der Philosophischen Fakultät der Prager Karls-Universität von „Platz der Roten Armee“ in „Jan-Palach-Platz“ um. Am 24. Januar wird er unter landesweiter Anteilnahme bestattet. Das Begräbnis wird durch die feierliche Aufbahrung in der Prager Universität zu Füßen einer Statue von Jan Hus zu einer Massendemonstration an der sich 10.000 Menschen beteiligten. (Quelle: archive.org)

 

Jan Palach | Quelle: ČTK

Es folgen zwei weitere Selbstverbrennungen als politisches Fanal.

Es folgen zwei weitere Selbstverbrennungen als politisches Fanal

 

Václav Havel: „Man muss einen anderen, neuen Weg finden.“
Die spätere Symbolfigur der „Charta 77“ mahnt bereits in dem Dokumentarfilm „Tryzna“ (Totenfeier, 1969) von Vlado Kubenko jetzt nicht in Apathie zu verfallen, sondern seine politischen Forderungen zu äußern. (Quelle: archive.org)

 

Im Jahr 1969 durchziehen weitere Massenproteste das Land.

Siegesfeier in Prag | Quelle: ČTKAm 28.März kommt es zu einer „Siegesfeier“ der besonderen Art. Bei der Eishockey-Weltmeisterschaft in Schweden treffen die Teams der Tschechoslowakei und der Sowjetunion aufeinander. Als die Mannschaft der ČSSR überraschend gewinnt ist dies nicht nur ein sportlicher Sieg: Stellvertretend werden die Besatzer geschlagen. Es feiern eine halbe Million Menschen auf den Straßen.
In Prag wird das Büro der sowjetischen Fluggesellschaft „Aeroflot“ zerstört. Die Aktion wird vom Geheimdienst gelenkt, um Moskau einen Vorwand zu liefern, weiter Druck auf Dubček auszuüben.

Zurück im Kreise der sozialistischen „Familie“: v.l.: Honecker, Husák, Ulbricht, Berlin, 1971 | Quelle: ČTKGustav Husák, seit April 1968 stellvertretender Ministerpräsident, wird am 17. April als KP-Chef eingesetzt, nachdem Dubček am 12. April zurücktrat. Staatspräsident Svoboda bleibt zwar im Amt, tritt jedoch in seiner Bedeutung hinter Husák zurück.
Die Reformen werden rückgängig gemacht und einer Stationierung sowjetischer Truppen im Land zugestimmt. Im Zuge der „Normalisierung“ werden hunderttausende Parteimitglieder überprüft und ggf. ausgeschlossen. Rundfunk und Fernsehen werden mit linientreuen Genossen besetzt. Kirchen werden geschlossen und Publikationsverbote ausgesprochen. Künstler und Akademiker müssen sich in Fragebögen zu ihrer Gesinnung äußern und die Rechtmäßigkeit des Einmarschs anerkennen. Gängige Disziplinierungsmethoden sind Arbeitsverlust, Studienverbot, soziale Degradierung und vor allem die Zerstörung jeglicher Zukunftsaussichten für die Kinder, indem ihnen höhere Bildung verwehrt wird.
Viele Menschen verlassen das Land und gehen ins Exil.

Brno, 1969 | Quelle: ČTKAm 21. August, dem ersten Jahrestag des "Tages der Schande" wie er nun genannt wird, sind zehntausende Menschen auf der Straße. Besonders in Brno kommt es zu Zusammenstößen mit den Besatzungstruppen. In Prag versammeln sich die Menschen bereits am 19. August auf dem Wenzelsplatz. Am Tag darauf werden Barrikaden errichtet. Wieder rollen Panzer – doch diesmal tschechische. In Folge dieser Ereignisse verschärft die Regierung die Strafmaßnahmen.
Die Sanktionen erreichen ihr Ziel– Einschüchterung und Resignation machen sich breit.

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Mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki im Sommer 1975 versuchen erstmals die Staaten West- und Osteuropas unter Einbeziehung der USA und Kanada die Entspannung in Europa durch multilaterale Zusammenarbeit zu sichern.
Bis auf Albanien unterschreiben alle sozialistischen Länder Europas am 1. August die Schlussakte von Helsinki. Es werden Leitlinien zur Verbesserung der sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und humanitären Beziehungen aufgestellt. So verpflichten sich die Unterzeichner u.a. zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Dieser Passus bildet die Grundlage osteuropäischer Menschenrechtsgruppen, die nun die jeweiligen Regime in die Pflicht nehmen.

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki | Quelle: Bundesarchiv

Wer einmal die Freiheiten des Prager Frühlings persönlich erfahren hat, der ist mit der Wiederherstellung des poststalinistischen Systems der „Normalisierung“ in der ČSSR „doppelt“ eingeschränkt. Um die neue alte Ordnung zu sichern, bedient sich die Kommunistische Partei Repressionsmethoden der 1950er Jahre. Unbequeme Personen werden aus dem öffentlichen Leben entfernt, verhaftet und eingesperrt.
Besonders nachvollziehbar ist dies im kulturellen Bereich. Im Umkehrschluss entwickelt sich daraus eine vielfältige Subkultur.

Illegale Schallplattenmärkte | Quelle: ČTK
Illegale Schallplattenmärkte | Quelle: ČTK

Prag 1975: Jeden Sonntag finden in Prag und in anderen Städten illegale Schallplattenmärkte statt. Hier können Jugendliche die Musik ihrer westlichen Lieblingsbands bekommen. Wenn die Polizei derartige Märkte auflöst, finden sie daraufhin immer wieder an anderen Orten statt.

Jan Kavan, Prag 1969 | Quelle: ČTKDer seit der Niederschlagung des Prager Frühlings in London lebende tschechoslowakische Journalist Jan Kavan gründet 1974 die „Palach Press Agency“, die zum publizistischen Medium der tschechoslowakischen Opposition und später vor allem der Charta 77 wird.
Er gründet außerdem den „Jan Palach Informations- und Forschungsfond“ (JPIRT), der die Opposition der ČSSR mit Büchern, technischer Ausrüstung und die Untergrund-Universitätsseminare unterstützt.

east european reporter

Weiterhin gründet Jan Kavan die „Osteuropäische Kulturstiftung“ (EECF) und die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „East European Reporter“, in der wichtige Dokumente und Texte von Dissidenten aus Ost- und Mitteleuropa erscheinen.
Wegen seiner Aktivitäten verliert er 1979 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft.

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Am 1. Januar 1977 erscheint eine von 243 Menschen unterschriebene Erklärung gegen die Menschenrechtsverletzungen in der ČSSR, die sogenannte „CHARTA 77“. Darin wird der Widerspruch zwischen den Deklarationen des Staates zum Thema „Grundrechte“ und der Realität angeprangert. Die Unterdrückungsmechanismen in der ČSSR seien dabei institutionalisiert.
CHARTA 77 versteht sich als „…eine freie, informelle und offene Gemeinschaft von Menschen verschiedener Überzeugungen, verschiedener Religionen und verschiedener Berufe, verbunden durch den Willen, sich einzeln und gemeinsam für die Respektierung der Bürger- und Menschenrechte in unserem Land und in der Welt einzusetzen.“

PDF Download: Manifest der Charta 77 Bild: vusta/iStockphoto„Menschen werden zu Opfern einer Apartheid“
Am 6. Januar soll die Erklärung der Regierung der ČSSR übergeben werden. Doch der Geheimdienst verhinderte dies. Am 7. Januar erscheint das Statement in führenden Tageszeitungen in Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik.
Quelle: ABL

 

Die ersten Sprecher der Charta 77 sind:

Jiří Hájek Václav Havel Jan Patočka
Jiří Hájek Václav Havel Jan Patočka
Der Kommunist Hájek war seit 1955 im Staatsdienst und unter Dubček Außenminister. Den Einmarsch 1968 verurteilte er vor der UNO.  1970 fiel er den politischen Parteisäuberungen zum Opfer. Der Dramatiker Havel wurde nach 1968 mit einem Aufführ- und Publikationsverbot belegt. Mit Gelegenheitsarbeiten verdient er seinen Lebensunterhalt. Insgesamt wird Havel etwa fünf Jahre im Gefängnis sitzen.

Dem Philosophen Patočka wird der universitäre Zugang verwehrt. Nach einem 11stündigen Polizeiverhör bricht der 69-Jährige mit einem Herzinfarkt zusammen und stirbt 10 Tage später am 13. März 1977.

 

Der Veröffentlichung der Charta 77 in der westlichen Presse folgt eine Welle von Verhaftungen und Repressalien. Manche Unterzeichner verlieren ihre Anstellung, ihren Führerschein, ihre Wohnung, ihre Rentenansprüche. Die Regierung inszeniert eine „Anti-Charta“ und zwingt die Bevölkerung, die Charta 77 öffentlich zu verurteilen. Die Kampagne gipfelt am 28. Januar in einer Versammlung im Nationaltheater, die die Einheit der Künstler des Landes mit der Parteiführung demonstrieren soll.
Mit diesem immensen Propagandaaufwand sorgt das Regime unfreiwillig für eine Verbreitung der Charta 77.

 

Ein wichtiges konstituierendes Element, das zur Gründung der Charta 77 führt, sind die Ereignisse um die Band „Plastic People of the Universe“.
Im Zuge von Husáks „Normalisierung“ entwickelt sich eine vielfältige Gegenkultur. Zu einer der einflussreichsten Bands des Undergrounds gehören die 1969 gegründeten „Plastic People of the Universe“. Anfangs angelehnt an die Musik von „Velvet Underground“, entwickelt die Band eine eigene Stilrichtung und greift in ihren Texten die Lyrik tschechischer Dichter wie Egon Bondy auf.


Plastic People of the Universe | Quelle: ČTK

Nach Auftrittsverboten beschränkt sich die Band auf Konzerte im vornehmlich privaten Rahmen. Sie treten u.a. auch mehrfach im Haus von Václav Havel auf. 

Havels HausIn Havels Haus in Hrádeček (Trutnov) finden regelrechte Festivals des Undergrounds („Festival der anderen Kultur“) statt.
Zu den Konzerten reisen teilweise mehrere hundert Menschen aus der ganzen ČSSR an. Die Veranstaltungen werden zu einer Manifestation des Undergrounds und erhalten damit einen konkreten politischen Charakter.

Im März 1976 wird die Band verboten und ihre Mitglieder verhaftet. Die hohen Haftstrafen von 8 bis 18 Monaten wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ lösen Unverständnis und Proteste im In- und Ausland aus. Wenngleich nur Wenige mit der Musik etwas anfangen können, die Diffamierung der jungen Leute als „Drogensüchtige, Alkoholiker und Kriminelle“ bedeutet für viele einen Angriff des totalitären Systems auf die Freiheit der Menschen.

Plastic People of the Universe: Magické noci (5:33)
Der Song „Magische Nacht“ ist ein vertonter Text von Egon Bondy. Eine erste von vielen Veröffentlichungen des Titels beruht auf einem Konzertmitschnitt im Hause Havel am 1.10.1977 im Rahmen eines „Festivals der anderen Kultur“. (Quelle: archive.org)


my underground Bild
Der Fotograf Abbé Libánský dokumentiert in seinem Fotobuch den subkulturellen Hintergrund der Charta 77.

 

Kette

Die massive Unterdrückung durch die Staatsgewalt führt 1978 im Rahmen der Charta 77 zur Gründung des "Ausschuss zur Verteidigung unschuldig Verfolgter“ (Výbor na obranu nespravedlive stílhaných - VONS). Das polnische „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (KOR) dient dabei als Vorbild.

title=1978 kommt es im Riesengebirge zu einem Treffen von Mitgliedern der Charta 77 und des polnischen KOR. V.l.: Marta Kubiśova, Václav Havel – ČSSR; Adam Michnik, Jacek Kuron - Polen | Quelle: ČTK
1978 kommt es im Riesengebirge zu einem Treffen von Mitgliedern der Charta 77 und des polnischen KOR. V.l.: Marta Kubiśova, Václav Havel – ČSSR; Adam Michnik, Jacek Kuron - Polen | Quelle: ČTK

Ziel von VONS ist es, offenkundig ungesetzlich festgenommen Menschen auf der Grundlage von Bürger-Petitionen zu helfen. Da die Behörden auf keine der Petitionen reagieren, druckt man die Forderungen als Flugblätter.

Stiftung Charta 77Hilfe kommt auch aus dem Ausland, wo viele verfolgte Tschechen und Slowaken im Exil leben. 1978 gründet der emigrierte Atomphysiker František Janouch in Stockholm die „Stiftung Charta 77“. Die Stiftung leistet finanzielle Hilfe für Dissidenten und ihre Familien, informiert die westliche Öffentlichkeit über Verfolgungen, fördert die Herausgabe von Büchern und Zeitschriften im Ausland und lässt der Opposition technische Hilfe zukommen. Sie verleiht Literaturpreise wie den Jaroslav-Seifert-Preis.
Bis 1989 fließt allein über diese Stiftung ein Betrag von 19 Millionen Kronen in die Tschechoslowakei.

Die Charta 77 bildet die Grundlage für ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis.
Hier engagieren sich z.B.:
→ Christen (Otta Bednáŕova, Kamila Bendova, Ladislav Hejdánek, Václav Vaśko)
→ Ex-Kommunisten (Jiŕi Dienstbier, Jiŕina Šiklova, Petr, Pithart, Miroslav Kusŷ)
→ Vertreter des Undergrounds (Frantiśek Stárek, Petruśka Šustrova)
→ Trotzkisten (Petr Uhl)
→ Liberal-Demokraten (Václav Havel, Jan Ruml)

(z.n.: Tomaś Vilimek: Die Opposition in der ČSSR und in der DDR – unveröffentlichtes Manuskript)

In den Folgejahren kommt es zu einer Vielzahl von oppositionellen Aktionen. Viele Dissidenten müssen dafür hohe Haftstrafen in Kauf nehmen.

Konfessioneller Protest

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Neues Deutschland vom 8.7.19856. - 7. Juli 1985
An den St. Cyrill- und Methodius-Feierlichkeiten im mährischen Velehrad nehmen zur Überraschung und zum Unbehagen des Regimes 200.000 Gläubige teil. Das Regime versucht, die christliche Wallfahrt in ihrem Sinne zu beeinflussen. Als der Kulturminister Klusák die Menge zum „Friedensfest“ begrüßt, wird er von den Gläubigen ausgelacht und ausgepfiffen. In Sprechchören riefen die Teilnehmer nach Religionsfreiheit, dem Papst und der Kirche.
Der Prager Erzbischof Tomásek hatte anlässlich des 1.100. Todestages des Heiligen Methodius auch Papst Johannes Paul II. eingeladen – die Einladung unterschrieben 18.000 Menschen.
Das Ereignis in Velehrad löst in einer Kettenreaktion einen verstärkten Zustrom zu christlichen Pilgerfahrten in Böhmen und Mähren aus. Es trägt dazu bei, die bürgerliche mit der kirchlichen Opposition zu verbinden und bringt Tschechen und Slowaken einander näher.

 

Velehrad, 1985 | Quelle: ČTK
Velehrad, 1985 | Quelle: ČTK

Die Restriktionen gegenüber Gläubigen verschärften sich mit der Wahl Papst Johannes Paul II. im Jahr 1978. Die kommunistische Führung befürchtet einen ähnlichen Impuls wie in Polen.

Stalinistische Methoden der Säkularisierung bleiben an der Tagesordnung:

→ Der seit Dezember 1980 mit Berufsverbot belegte Seelsorger Anton Zlatohlavy wird 1981 verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er illegal in seiner kleinen Gemeinde in der Ostslowakei ein Pfarrhaus errichtet hat.

→ 1981: In Bratislava wird ein Arbeiter zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er als heimlicher Ordensbruder jungen Roma und Sinti Religionsunterricht erteilt hatte.

→ Im September 1981 werden in Olmütz zwei Priester und vier Laien der Untergrundkirche angeklagt, weil sie illegal eine Druckerei für religiöse Schriften betrieben haben. Einer der Priester wird später nochmals vor Gericht gestellt, weil er zwei westdeutsche Glaubensbrüder über die Lage der Kirche in der ČSSR informiert.

→ 1981: Ende Oktober stürmen Polizisten das Kloster Kadan, das 90 Ordensschwestern beherbergt. Es werden religiöse Schriften und Vervielfältigungsmaschinen beschlagnahmt, obwohl diese amtlich angemeldet sind. Zusätzlich wird das Gerücht verbreitet, die Nonnen hätten sechs Polen versteckt und einen Geheimsender betrieben. Eine ähnliche Aktion findet auch in dem Männerkloster Zdar nad Sazavou in Mähren statt.

 

Jugendlicher Protest

Quelle: archive. orgZu einer „Pilgerfahrt“ der ganz anderen Art kommt es am 8. Dezember 1985. Es wird der 5. Todestag des Ex-Beatles John Lennon, der 1980 einem Attentat zum Opfer fiel, begangen. Über 600 Jugendliche aus verschiedenen Teilen des Landes kommen nach Prag. An einer unscheinbaren Altstädter Mauer ist seit 1981 die „John Lennon Wall“ entstanden, die Jugendliche alljährlich mit Songzitaten und Losungen bemalen, auch wenn das Regime die Mauer immer wieder übertüncht.

 

John-Lennon-Wall

PDF Download: Bericht 8.12.1985 Bild: vusta/iStockphoto„Wir wollen Freiheit! Wir wollen Frieden!“
Aus dem Andenken entwickelt sich ein politischer Protestzug durch die Prager Innenstadt, dem sich immer mehr Menschen anschließen.
Aus Infoch 1/1986 | Quelle: ABL

 

John-Lennon-Wall, 2011, Quelle: privat
John-Lennon-Wall, 2011, Quelle: privat

Neues Deutschland vom 8.7.1985Des Weiteren wird eine jugendliche Subkultur, ähnlich wie in der DDR, auf Grund ihres äußeren Erscheinungsbildes kriminalisiert. Mit den anfänglich unpolitischen Punks sind die sozialistischen Organe überfordert. Ihr Habitus passt in keinen sozialistischen Alltag. Sie nehmen sich Freiheiten ohne sich unter- und einzuordnen. Oft sind es erst die Ausgrenzung und die Diskriminierung, die die Jugendlichen politisieren.

Literatur: Gitarren und Geschrei - oder was hinter der Mauer war:
Punk und Hardcore in der Tschechoslowakei vor 1989. (Bisher gibt es keine deutsche Auflage.)

1987 versuchen Punks aus Pilzen, den Repressionen gegen sie zu begegnen. In der ČSSR werden derart unangepasste Jugendliche in psychiatrische Anstalten oder Jugendgefängnisse gesperrt. Auch wenn ihre Petition an Staatschef Husák daran nichts ändert, so wird ihr Leidensdruck durch die Charta 77 öffentlich gemacht.


Quelle: Open Society Archive Budapest


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