Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Ein Brief der Evangelischen Studentengemeinde am Katechetischen Oberseminar in Naumburg, der die Kirchenleitung aufforderte, ein größeres Engagement in der Friedensfrage zu zeigen, wurde von der Studentenschaft abgelehnt. Der Naumburger Studentenpfarrer Richter belegt anhand dieses Beispiels die unpolitische Einstellung eines großen Teils der Theologiestudenten.

 

  • 1_Foto 021-003-008

Edelbert Richter (2.v.r.) auf dem Statt-Kirchentag in der Lukaskirche in Leipzig, 8.7.1989 – mit Ehrhard Eppler (r.) und Christoph Wonneberger (Mitte), Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Martin Jehnichen

 

Biografisches:

Edelbert Richter (1943-2021)

  • 1961 Philosophiestudium in Berlin (Exmatrikulation)
  • 1963 – 1968 Theologiestudium in Halle
  • Assistent am Katechetischen Oberseminar Naumburg
  • 1974 Pfarrer in Naumburg und Stößen
  • 1976 Promotion
  • 1977 – 1987 Studentenpfarrer in Naumburg
  • 1987 Pfarrer in Erfurt, Dozent Predigerschule Erfurt, Katechetischen Oberseminar Naumburg

 

Gesprächsprotokoll:

Länge: 37:37 min

Der Studentenpfarrer am Katechetischen Oberseminar in Naumburg berichtet von den Lesungen mit namhaften DDR-Autoren: Stefan Heym, Christa Wolf, Stephan Hermlin, Volker Braun, Heiner Müller, Franz Fühmann. Diese Veranstaltungen finden nicht nur bei den Studenten einen regen Zuspruch. In der Regel kommen 200 bis 250 Leute. Das ist für die kleine Gemeinde sehr viel. Auch an staatlichen Universitäten haben die evangelischen Studentengemeinden einen guten Zulauf. Hier kann selbstbestimmter gestaltet werden und offener diskutiert. Während vor Jahren noch politische und soziale Fragen diskutiert wurden, sind es momentan mehr Probleme der Lebensbewältigung des Einzelnen (Psychologie). Die Naumburger Studentengemeinde hat jedoch einen größeren Gestaltungsspielraum als die Studentengemeinden an staatlichen Unis (Leipzig, Berlin). Sie kann sich auch in Fragen der akademischen Ausbildung einbringen. Richter erzählt von einem Beispiel: Die ESG hat an die Vollversammlung des Oberseminars mit Studenten und Dozenten die Forderung nach mehr Engagement der Kirchenleitung in der Friedensfrage gestellt. Das wurde abgelehnt, was auch zeigt, dass die Mehrheit der Studenten das Engagement der ESG nicht teilt. Einen Hauptgrund dafür sieht Richter darin, dass die Studenten von den Engagement- und Resolutions-Forderungen des Staates müde sind und nicht mehr unterscheiden zwischen den anderen Vorzeichen. Sie priorisieren die theologische Aufgabe von Verkündung und Seelsorge. Diese Passivität ist aber ein allgemeines Problem, dass sich in der Studentenschaft auch widerspiegelt. Man zieht sich auf Gottesdienste und Bibelabende zurück. Richter macht das an einem Beispiel in Leipzig fest, wo er einen Vortrag über Arbeitsteilung hielt und es den meisten zu politisch gewesen ist. Trotzdem glaubt in der Friedensfrage niemand den SED-Floskeln. Man informiert sich halt im Westen und zieht sich ins Private zurück.

Ein anderes Thema ist die Umweltproblematik, womit man sich beschäftigt hatte. Die Diskussionen um Frauenemanzipation spielen keine Rolle. Das wird eher als Kuriosum empfunden.

Neben den Themenabenden finden Wochenschlussandachten statt, die aber schlecht besucht sind. Von den ca. 120 Studierenden beteiligen sich etwa 20 Studenten an der ESG.


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Diese Cookies sind essenziell für den Betrieb der Seite. Dabei handelt es sich um sogenannte Session-Cookies und ein Cookie, das Ihre Cookie-Einstellungen speichert. Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.