Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Als Teil eines Unrechtsapparates hat er sich nicht gesehen, denn seine sozialistische Weltanschauung rechtfertigte die Mittel. Entscheidungen wurden dabei nicht in Frage gestellt, denn das gebot die soldatische Disziplin.

 

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Bild 1: Leipzig, März 1990, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Bernd Heinze
Bild 2 bis 4: Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit – heimliche Aufnahmen aus einem Dachboden gegenüber der Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Leipzig (Beethovenstraße), Juli 1989, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Rainer Kühn, Michael Arnold

 

Gesprächsprotokoll:

Länge: 1:47:39

Das Gespräch führten Peter Wensierski und Roland Jahn. An dem Gespräch beteiligten sich zwei Offiziere des MfS, neben Oberst Becker ein gewisser Bernd …

Herr Becker war 26 Jahre Mitarbeiter des MfS, davon 18 Jahre in der zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe. Eine Abteilung, die Mielke direkt unterstellt war. Sie entwickelte Vorlagen für Mielke, die u.a. den Einsatz von IMs betraf. Deren Strategien ignorierte Mielke in den zurückliegenden Jahren immer mehr. Becker gibt ein Beispiel über die Analyse zur Ausreisebewegung 1983 in Jena (Friedenskreis Jena, Weißer Kreis). Man kam damals zu dem Schluss, wenn man die Leute, die auf sich aufmerksam machen, ausreisen lässt, entsteht ein Nachahmungseffekt. Becker vermag nicht zu beurteilen, wie diese Vorschläge von Mielke oder dem Politbüro aufgenommen wurden. Bezüglich der Ausreisebewegung flossen sie jedoch in keine politischen Entscheidungen ein. Das Beispiel Jena hätte es gezeigt. 1984 wurden ca. 30.000 Menschen in den Westen abgeschoben und das Politbüro hoffte, damit das Problem vom Tisch zu haben. Nach Beckers Meinung sind derartige Entscheidungen im kleinen Kreis um Honecker gefällt worden. Es gibt mehrere Beispiele, wonach sich die Analysen der Stasi nicht in der praktischen Politik wiederfinden. Als Mitarbeiter war dies frustrierend, aber man hat sich gefügt und hat auf die Orientierung der Partei gebaut. Eine ähnliche Situation erlebte Becker im Umgang mit oppositionellen Kreisen. Auch da hat man sich auf den „Kurs der Partei“ berufen, da man nicht alle Einflüsse auf Entscheidungen überblicken konnte. Seine Zweifel führten aber nicht dazu, das MfS zu verlassen, da er einst aus Überzeugung zur Staatssicherheit ging. Er gibt dem Politbüro die Schuld, nicht willens gewesen zu sein, angezeigte Veränderungen herbeizuführen. Das betrifft nicht nur die Erkenntnisse der Stasi, sondern auch anderer Organe. Trotzdem muss er zugeben, dass das MfS in Krisenzeiten (Beispiel Liebknecht-Luxemburg-Demo) trotz angeblich anderer Empfehlungen, die Vorgaben des Politbüros immer unterstützte und demnach handelte. Er sieht das MfS als Befehlsempfänger mit soldatischer Disziplin. Gestützt durch die ideologische Überzeugung stellt man die reale Politik nicht so schnell in Frage. Erst im November 1989 war für ihn klar, es ist aus.

Prinzipiell reduziert Becker seine Antworten auf komplexere Fragen auf seinen Dienstbereich bzw. auf voneinander unabhängig gesehene Einzelereignisse.

Die Staatssicherheit hat auch die Absicherung der Auftritte der Parteiprominenz organisiert. Am Beispiel Güstrow im Dezember 1981 (Treffen Honecker mit Schmidt) sind dabei „Potemkinsche Dörfer“ aufgebaut worden. Becker sieht dies jedoch nicht so drastisch, weil es auch um die Sicherheit der Prominenz ging. Man beorderte Mitarbeiter des MfS zum Jubeln, um das Bild zu vermitteln, die Bevölkerung steht hinter der Partei. Der Ausgangspunkt für derartige Inszenierungen wäre aber nie das MfS gewesen, sondern immer die Partei. Auch bei dem Wahlbetrug 1989 wäre es so gewesen, dass die Stasi auf die Vorgaben des Politbüros regiert hat und nicht von sich aus tätig geworden ist. Wie die Vorbereitungen der Stasi auf Konfliktsituationen abliefen, kann Becker nicht viel sagen. Bernd ?? nennt den Olof-Palme-Marsch als ein Beispiel, dass das MfS nur auf Vorgaben hin agiert hat. Normalerweise konnten die Transparente nicht in der DDR gezeigt werden. Aber es gab eben Vorgaben und das MfS schritt nicht ein. Im Gegensatz dazu nennt er die Luxemburg –Liebknecht –Demo, wo man sich auf „Zugriffe“ vorbereitet hat. Die Einsätze zu politischen Höhepunkten waren seitens der MfS-Mitarbeiter prinzipiell wenig euphorisch, denn diese bedeuteten auch immer eine längere Arbeitszeit (Dienstzeit). Man arrangierte sich.

Im Folgenden beschriebt Becker die Rolle von IM bei der Zusammenstellung der Informationen für die Parteispitze. Viele IM-Berichte flossen in die Situationsbeschreibung. Das Hauptanliegen der Parteispitze war zu erfahren, wie denkt die Bevölkerung über die Situation im Lande und wie über die politische Führung. Dazu brauchte man die IM.

Herr Becker lernte Mielke 1975 das erste Mal kennen. Da war er noch von seiner Ausstrahlung beeindruckt. Diese Achtung schwand im Laufe der Zeit. Am Ende bestanden seine Anweisungen nur noch aus Losungen. Zum Beispiel: "Die Revolution ist immer nur so viel wert, wie sie sich versteht, zu verteidigen. Daran müsst ihr immer denken." Für Becker war Mielke eher Politbüromitglied als Minister, der jegliche Unruhe im Lande verhindern wollte. Honecker und Mielke hätten die Politik in der DDR gemacht. In diesem Sinne fühlt er sich von den beiden auch missbraucht.

Einen Knackpunkt für den Niedergang der DDR sieht Becker im KSZE-Prozess. Ein weiterer wichtiger Fakt ist Glasnost in der Sowjetunion. Unmittelbare Fehlentscheidungen sind in Zusammenhang mit der Ausreiseproblematik getroffen worden. Ebenso gab es nie eine Bereitschaft, die Menschen zu ihren Verwandten im Westen reisen zu lassen. Da diese Schwierigkeiten die anderen sozialistischen Länder nicht hatten, aber trotzdem nicht mehr existierten, müsse es am sozialistischen System gelegen haben. Becker sieht dementsprechend auch sein Berufsleben als gescheitert an. Er zieht daraus die Schlussfolgerung, nun bei der Aufklärung der Arbeitsweise des MfS zu helfen.

Abschließend weist Bernd ?? darauf hin, dass an der Machterhaltung der SED nicht nur das MfS gearbeitet hat, sondern auch erhebliche Teile der Gesellschaft (Volksbildung, Justiz, Betriebe). Er betont noch einmal die Diskrepanz zwischen den Informationen des MfS und der öffentlichen Berichterstattung. Er meint, auf Kreisparteiebene störte das MfS die euphorische Berichterstattung. Das MfS als Mahner in der Wüste. Die politische Opposition stellte jedoch keine Gefahr dar. Das war keine Massenbewegung und sie war „überschaubar“ und „abzählbar“. Wenige haben den Kopf hingehalten und die über Jahrzehnte Angepassten kamen erst, als im Land nichts mehr ging. Trotzdem hat er die DDR verteidigt, weil er sich nichts Anderes vorstellen konnte und keine Alternativen sah. In diesem Sinne verteidigt Bernd ?? die Stasi als wichtiges Organ zum Erhalt der DDR.

 


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