Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Die vier Themenblöcke zu Jugoslawien.

Reformversuche des Sozialismus

→ Der „besondere deutsche Weg zum Sozialismus“, 1946

Quelle: BundesarchivIn der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gibt es 1946 durch den führenden Kommunisten Anton Ackermann (l., hier 1951) programmatische Überlegungen über einen „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“. Darin spricht er sich gegen eine brachiale Errichtung der „Diktatur des Proletariats“ wie in der Sowjetunion aus, denn man müsse die nationalen Gegebenheiten berücksichtigen. Nach Stalins Bruch mit Jugoslawien muss er seine Thesen widerrufen. Die Entwicklung in der SBZ wird durch die Sowjetunion „administrativ“ bestimmt und nicht politisch diskutiert. „Administrativer Vollstrecker“ ist Walter Ulbricht (r.) und Ackermann wird in das politische Abseits gestellt.

Quelle: Bundesarchiv/ABL

→ Neues Ökonomisches System der Leitung und Planung (NÖSPL), 1963

Das jugoslawische Modell der Arbeiterselbstverwaltung ist in den 1960er Jahren für kommunistische Wirtschaftsreformer ein Ansatz, die Effizienz der starren Planwirtschaft zu verbessern. Der wirtschaftliche Erfolg Jugoslawiens scheint derartige Überlegungen zu rechtfertigen.

Quelle: BundesarchivAnfang der 1960er Jahre hat sich ein enormer wirtschaftlicher Reformdruck in der DDR angestaut. Maßgeblich durch Erich Apel wird 1963 ein wirtschaftliches Reformprogramm vorgelegt. Dieses enthält dezentrale Elemente zu Gunsten der Betriebe. Ähnlich wie in Jugoslawien können sie (in begrenztem Maße) über eigene Gewinne als Investitionsmittel verfügen. Reale Preise sollen zu mehr Effizienz anhalten. Über ein leistungsorientiertes Prämiensystem will man die Arbeitsmoral verbessern.
SED-intern sind die Veränderungen nicht unumstritten, denn Kompetenzen von Zentralverwaltungen und Politfunktionären werden beschnitten. Doch der schnelle Impuls für die Wirtschaft gibt den Reformen zunächst recht.

Bereits Ende 1965 sind die Reformen zum Scheitern verurteilt. Neben den Schwierigkeiten bei der organisatorischen Durchsetzung beansprucht die Sowjetunion einen beträchtlichen Teil der DDR-Exportkraft für sich. Apel kann sich mit der Forderung nach mehr Unabhängigkeit von der Sowjetunion nicht durchsetzen und im Zuge dessen schwindet sein Rückhalt in den eigenen Reihen. Ein Handelsabkommen mit der Sowjetunion wird am 3. Dezember 1965 nach mehrmaligem Drängen Breschnews unterzeichnet. Noch eine Woche zuvor hat der sowjetische Staatschef bei einem Blitzbesuch in Berlin die deutschen Genossen persönlich zur Räson gerufen.

Quelle: Neues Deutschland, 4.12.1965
Neues Deutschland, 4.12.1965

Quelle: ABLAuch der Wirtschaftsexperte des Prager Frühlings in der ČSSR Ota Šik sieht in der Dezentralisierung einen Ausweg aus der prekären wirtschaftlichen Situation.
Derartige Reformen sind jedoch unter der Vorherrschaft der Sowjetunion nicht möglich.

 

→ Rudolf Bahros „Alternative“, 1977

Quelle: ČTK„Staatsfeindlich“ ist Rudolf Bahros Gesellschaftsentwurf „Die Alternative – Zur Kritik des real existierenden Sozialismus“, obwohl der den Sozialismus als Staatsform nicht in Frage stellt. Seine reformsozialistische Analyse gipfelt in der Forderung nach Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, um die Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR zu beheben. Dazu müsse der einzelne Mensch mehr Mitspracherechte bekommen, was sein Verantwortungsbewusstsein stärken würde. Im August 1977 erscheinen Auszüge im westdeutschen "Spiegel". Bahro wird daraufhin verhaftet und im Juni 1978 wegen "nachrichtendienstlicher Tätigkeit und Geheimnisverrat" zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Nach einer breiten internationalen Solidarität wird er im Zuge des 30. Jahrestages der DDR 1979 in die Bundesrepublik entlassen.

 

Bernd Albani: „Drei empörte Arbeiter rissen mir das Plakat runter.“
Aus Protest gegen die Inhaftierung Bahros läuft Bernd Albani im Juni 1978 mit einem Plakat durch die Leipziger Innenstadt. Darauf steht: „Ich fordere Freiheit für Bahro!“
Albani wird zu 6 Wochen Haft verurteilt.
Lebenslauf Bernd Albani

Am 2. September 1978 tauchen „Schmierereien“ an Leipzigs berühmtesten Denkmal auf. Links und rechts des Haupteinganges zum Völkerschlachtdenkmal prangt in ein Meter großen Lettern die Losung „Freiheit für Bahro“.

Quelle: Bundesarchiv, BStU
Quelle: Bundesarchiv, BStU

Eine Gruppe junger Leute um den Kommunisten Heinrich Saar solidarisiert sich in dieser Form. Aus den Diskussionsrunden über notwendige Reformen des Sozialismus in der DDR entstehen konkrete Aktionen.

PDF Download: Flugblatt Bild: vusta/iStockphoto„Vereinen wir uns zur Oppositionsbewegung demokratischer Kommunisten!“
Bis Ende des Jahres 1978 druckt die Gruppe ca. 1.200 Flugblätter mit Hilfe von Kinderstempelkästen. Darin ergreift sie Solidarität mit Bahros „Alternative“ und fordert die Freilassung aller politischen Gefangenen. Äußerst provokant ist der Aufruf zum Aufbau oppositioneller Strukturen.

1979 zerschlägt die Staatssicherheit die Gruppe und die Gruppenmitglieder müssen Haftstrafen in Hoheneck, Cottbus und Bautzen verbüßen.

 

1989/90 - „Keine Experimente“

Montagsdemonstration in Leipzig, 11.12.1989 | Quelle: ABL / B. Heinze
Montagsdemonstration in Leipzig, 11.12.1989 | Quelle: ABL / B. Heinze

Spätestens nach der Maueröffnung am 9. November 1989 stoßen konkurrierende Meinungen während der Friedlichen Revolution aufeinander. Was als regimestürzende Einheit beginnt, differenziert sich durch unterschiedliche Zukunftsvorstellungen aus. Tragfähige Konzepte gibt es zunächst kaum.

Zivilgesellschaft

Dritter Weg

Deutsche Einheit -jetzt

Quelle: ABL / B. Heinze Quelle: Bundesarchiv Quelle: ABL / B. Heinze
- Politische Partizipation des Einzelnen
- Schwächung des (totalitären) institutionalisierten Staates durch Basisdemokratie
- DDR als sozialistische Alternative zur Bundesrepublik
- politische Vereinnahmung von Reformideen durch die SED -> SED / PDS -> PDS
- Legitimationsverlust der DDR
- Abschaffung des Staates
- Materielle Begehrlichkeiten
-> Macht-frage wird nicht gestellt -> Macht-rettende Versuche Macht-frage steht auf der Tagesordnung

Die Dynamik der Revolution verschiebt die Mehrheiten innerhalb kürzester Zeit von reform-intendierten Ansätzen bis zum Zerfall der DDR. Der klare Orientierungsbedarf der Bevölkerung hin zur deutschen Einheit ist für die Akteure der Revolution überraschend. Im Ergebnis der ersten freien Volkskammerwahl vom 18. März 1990 spiegelt sich dieser Trend sehr deutlich wider. Die „Allianz für Deutschland“ verspricht die schnellstmögliche Vereinigung Deutschlands, während die ehemalige DDR-Opposition mit dem Bündnis 90 nur noch eine moralische Rolle spielt.

Ergebnis der ersten freien Volkskammerwahl vom 18. März 1990 | Quelle: ABL

Die politischen Veränderungen, die man im Laufe der Geschichte der DDR angestrebt hat, orientieren sich an den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen und damit an den Erfolgsaussichten ihrer Umsetzung.

 

Minen! –
Betreten verboten!

Bosnien-Herzegowina 2012, Quelle: ABL

Die Wahrnehmung des kommunistischen Jugoslawiens wird von der Brutalität des verheerenden Bürgerkriegs in den 1990er Jahren überlagert und in der kollektiven Erinnerung idealisiert.
In einem Exkurs soll daher die „Explosion“ Jugoslawiens in knappen Zügen nachvollzogen werden - ist sie doch gleichzeitig ein „Lehrstück“ für mögliche Folgen fehlender europäischer Integration.

Jozip Broz –
total toll

Bosnien-Herzegowina 2012, Quelle: ABL

Europäisches Versagen  - Jugoslawische Bürgerkriege | Quelle: ABL

Zehn-Tage-Krieg in Slowenien

In der Nähe von Maribor 1991 | Quelle: ČTK

Am 25. Juni 1991 wird die Republik Slowenien ausgerufen und am 27. Juni marschiert die jugoslawische Volksarmee in Slowenien ein. Zur Überraschung der Militärs stoßen sie jedoch auf starken Widerstand. Einheiten der Territorialverteidigung leisten konsequente Gegenwehr. Die Zivilbevölkerung unterbricht Kommunikations- und Versorgungswege und blockiert Kasernen.

Jugoslawischen Volksarmee 1991, Quelle: ČTKDie Zusammensetzung der Volksarmee erweist sich als denkbar ungünstig, um gegen abtrünnige Republiken vorgehen zu können.
Bereits während der Vorbereitung des Einsatzes desertieren ca. 2.500 slowenische Soldaten und 500 Zivilbeschäftigte aus der Volksarmee.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Nationalitäten, so dass die Volksarmee immer mehr serbisch dominiert wird. Damit zerfällt auch die letzte Stütze des jugoslawischen Bundes.

Unter Vermittlung der Europäischen Gemeinschaft (EG) wird am 3. Juli ein Waffenstillstand vereinbart und am 7. Juli ein Abkommen („Erklärung von Brioni“) verabschiedet, in dem sich Slowenien und Kroatien bereiterklären, die Durchsetzung ihrer Unabhängigkeit für drei Monate auszusetzen, um Zeit für eine friedliche Lösung des Konflikts zu haben. Im Gegenzug zieht sich die Armee zurück – und kehrt nie wieder. Auf Miloševićs‘ Betreiben wird Slowenien „fallen gelassen“. Er konzentriert sich vielmehr auf die Durchsetzung seiner Ziele in Kroatien.

 

Kroatien

Bombardierung von Dubrovnik 1991 | Quelle: ABL
Bombardierung von Dubrovnik 1991 | Quelle: ČTK

Mit dem Aufschwung des kroatischen Nationalismus unter Franjo Tudjman werden unter den in Kroatien lebenden Serben die schlimmen Erinnerungen an den Völkermord des faschistischen Ustascha-Regimes im II. Weltkrieg instrumentalisiert. Bereits ab August 1990 riegeln die in Kroatien lebenden Serben ihre Siedlungsgebiete ab (ab Dezember 1991 Republik Serbische Krajina). Es bilden sich serbische Milizen und paramilitärische Einheiten unter Beteiligung von Fußball-Hooligans. Sie werden finanziell und materiell von Serbien getragen.

Vukovar 1991, Quelle: ČTKAb August 1991 beginnen die den Krieg prägenden ethnischen Säuberungen. Bis zum Dezember 1991 werden geschätzte 80.000 Kroaten aus den serbischen Siedlungsgebieten vertrieben. Dubrovnik und andere Städte werden bombardiert.
Im November kommt es zu ersten Massenmorden in der Nähe von Vukovar.

Nach Ablauf des Moratoriums von Brioni wird Kroatien wie Slowenien am 8. Oktober 1991 offiziell unabhängig. Mit einer diplomatischen Anerkennung will man den „internen“ Konflikt internationalisieren. Doch die Europäische Gemeinschaft (EG) ist unfähig, gemeinsam zu handeln. Erst am 23. Dezember erfolgt die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens in einem Alleingang Deutschlands. Drei Wochen später folgen die europäischen Partner. Entgegen ihren Zielen akzeptiert die EG damit verspätet den Zerfall Jugoslawiens. Zeit genug für Miloševićs, vollendete Tatsachen zu schaffen. Mit der Besetzung von ⅓ des kroatischen Territoriums durch die kroatischen Serben sind die Kriegsziele erreicht.
Am 8. Januar 1992 erklärt Miloševićs den Krieg für beendet.

 

Bosnien-Herzegowina

In Bosnien-Herzegowina sind die Spaltungsprozesse noch komplizierter. Die politischen Parteien bilden rein nationale Sammelbecken. Die Siedlungsgebiete der drei Nationen (Bosniaken, Kroaten, Serben) sind nicht klar trennbar, denn sie sind ethnisch derart gemischt, dass keine der Gruppen eine absolute Mehrheit besitzt. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum Ende Februar 1992 beginnt analog den „Bedrohungsszenarien“ der Serben im Kosovo und in Kroatien der Krieg. Im Sommer sind ⅔ des Landes besetzt. Es entstehen mehrere muslimische Enklaven.

Sarajevo, 1993, Quelle: ČTKBereits Anfang April 1992 ist die Hauptstadt Sarajevo von serbischen Truppen eingekesselt. Es beginnt die längste Blockade (und Luftbrücke) einer Stadt im 20. Jahrhundert (bis Februar 1996).
Neben der dramatischen Versorgungslage besteht das Leben der Einwohner aus Dauerbeschuss, Heckenschützen, Raub und Vergewaltigungen.

Galgenhumor aus Sarajevo
„Was macht ein Mädchen auf einer Schaukel?“
„Es narrt die Scharfschützen.“

Im Frühjahr 1993 weitet sich der Krieg auf einen kroatisch-bosnischen Gegensatz aus. Die bosnischen Kroaten streben einen Anschluss ihrer Gebiete an Kroatien an. Hintergrund sind die kroatischen und serbischen Absprachen zur Aufteilung Bosnien-Herzegowinas (Großkroatien und Großserbien).
Völkerrechtlich prekär ist die Situation für die Republik Kroatien. 1992 hat man die Republik Bosnien-Herzegowina als souveränen Staat anerkannt und beginnt jetzt de facto einen zwischenstaatlichen Krieg mit dem Ziel der Annexion.

Bosnische Kroaten, Serben und Muslime | Quelle: ABL

Das Streben nach Abgrenzung äußert sich in den Gründungen parastaatlicher „Republiken“ innerhalb der 1990 gegründeten Republik Bosnien-Herzegowina (Präsident: Alija Izetbegović)
- Mai 1992 „Serbische Republik“ unter Radovan Karadžić, Hauptstadt Banja Luka
- August 1993 „Kroatische Republik Herceg-Bosna“ unter Mate Boban, Hauptstadt Mostar

Neben den regulären Armeen rekrutieren alle Kriegsparteien paramilitärische Banden, die marodierend durch das Land ziehen und für die schnell ausufernde Gewalt verantwortlich sind. Es werden Gewaltphantasien ausgelebt, Menschen gedemütigt, Frauen vergewaltigt und eigene Ziele der Bereicherung verfolgt. Beispielhaft für die vielen Verbrechen steht der Völkermord in Srebrenica. Der Krieg zieht Söldner und Abenteurer aus vielen Ländern an. Jede Kriegspartei macht sich durch Verbrechen schuldig.

Bosnische Kroaten Bosnische Muslime Bosnische Serben
13 Banden 14 Banden 56 Banden
z.B.„Kroatische Verteidigungskräfte“ - Paramiliz z.B. „Grüne Barette“ – Paramiliz, Mudschaheddin aus Afghanistan z.B. „Wochenendkrieger“ aus Serbien, „Arkans Tiger“ - Hooligans des Fußballklubs Roter Stern Belgrad, „Glaubenskrieger“ aus Russland und Griechenland

 

Massengrab in Bosnien 1996 | Quelle: ČTK
Massengrab in Bosnien 1996 | Quelle: ČTK

Im Bosnienkrieg gibt es keine „großen“ Schlachten zwischen Armeen um Geländegewinne. Die Kriegshandlungen beziehen sich in erster Linie auf die Zivilbevölkerung. Etwa 100.000 Menschen kommen ums Leben. Davon sind 70% Muslime.

Paradigmenwechsel
Die internationale Akzeptanz und Praxis von Zwangsumsiedlungen (ethnischen Säuberungen) nach den beiden Weltkriegen, um Konflikte zu regulieren, ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Leitbild der Menschenrechte über ethnische und nationale Grenzen hinweg gewichen.
Dementsprechend überrascht zeigen sich die Konfliktparteien ob der internationalen Ablehnung ihres Handelns. Die internationale Öffentlichkeit wiederum ist geschockt, weil man ethnische Kriege in Europa nicht mehr für möglich gehalten hat.

 

Die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen werden seit 1994 am Internationalen Gerichtshof in Den Haag (Kriegsverbrechertribunal) juristisch aufgearbeitet.

 

Das Abkommen von Dayton

UN-Truppen 1992, Quelle: ČTKDie internationale Politik bleibt nach Ausbruch der Kriege unentschlossen. Die Amerikaner betrachten den Konflikt als europäische Angelegenheit und die Europäer setzen auf eine diplomatische Lösung. Keiner will eigene Verluste riskieren. Dazu ist die Region strategisch zu unwichtig geworden.
Die UNO verhängt 1992 Sanktionen und errichtet „Safe Areas“ mit Blauhelm-Truppen, die die Zivilbevölkerung schützen sollen. All das ist halbherzig und unterschätzt die Dynamik und Dramatik der Ereignisse.
In der Folge entstehen verschiedene Friedenspläne, die jedoch an der Zustimmung der Konfliktparteien scheitern.

Erst auf Druck der USA kommt es im Frühjahr 1995 zur Kriegswende. Von den Amerikanern unterstützt bzw. toleriert erobert die kroatische Armee die serbische „Republik Krajina“ zurück – begleitet von ethnischen Säuberungen. Im August sind nahezu alle Serben geflohen oder vertrieben.
Eine Allianz aus kroatischer und bosnischer Armee, die von NATO-Luftangriffen auf serbische Stellungen unterstützt wird, setzt den Vormarsch in Bosnien-Herzegowina fort. Demoralisiert befinden sich die bosnischen Serben in einer verzweifelten Lage. Im Oktober 1995 verhindert ein Waffenstillstand eine neue Flüchtlingskatastrophe und die serbische Seite stimmt Verhandlungen zu.

Dayton (Ohio) 1.11.1995 | Quelle: ČTK
Dayton (Ohio) 1.11.1995 | Quelle: ČTK

Im Herbst 1995 sitzen die Kriegsparteien (Alija Izetbegović –l., Franjo Tudjman – M., Slobodan Miloševićs – r.) in Dayton (Ohio) und verhandeln ein Friedensabkommen, dass im Dezember in Paris unterzeichnet wird.
Erstmals wird jetzt ein ethnischer Konflikt nicht mit weiteren Zwangsumsiedlungen beigelegt, sondern im Gegenteil: Es wird den Menschen ein Rückkehrrecht zugesprochen.
Das Land wird in zwei autonome Gebiete geteilt:

Konföderation Bosnien-Herzegowina (BiH) | Quelle: ABL

Ein Beweis der Stabilität ohne internationale Kontrolle steht noch aus.

 

Kosovo

Non-Serbs only Bei den Verhandlungen in Dayton wird der Konflikt im Kosovo „übersehen“. Dabei hat sich seit Beginn der 1990er Jahre ein regelrechtes „Apartheid-Regime“ im Kosovo gebildet. Serben verdrängen Albaner aus nahezu allen öffentlichen Einrichtungen und Institutionen.

Als Reaktion darauf entstehen Strukturen eines albanischen „Untergrund-Staates“ (eigene Schulen, Medien, Krankenhäuser). Gleichzeitig leisten Albaner gewaltlosen Widerstand gegen die serbischen „Herren“.

UҪK-Kämpfer 1998, Quelle: ČTKMit der Negierung der Kosovofrage im Dayton-Abkommen und dem wirkungslosen Widerstand radikalisiert sich die Stimmung vor allem unter den jungen Menschen. Die bis dahin relativ unbedeutende Guerilla UҪK (Kosovarische Befreiungsarmee) erhält ab 1996 regen Zulauf und es beginnt eine Spirale von Gewalt und Vergeltung. Die Grenzen zwischen Freiheitskampf und organisierter Kriminalität sind dabei fließend. Ab dem Frühjahr 1998 breiten sich die Kämpfe flächenbrandartig aus.

Ein wochenlanger Verhandlungsmarathon führt im März 1999 zu keinem Ergebnis. Der Bezug auf das bis heute umstrittene „Massaker“ von Račak, veranlasst die NATO ohne UN-Mandat das Feuer auf Serbien zu eröffnen. Einzig die Erfahrungen der letzten Jahre, einer „humanitären Katastrophe“ (Bundeskanzler Gerhard Schröder) zuvorkommen zu wollen, legitimieren die Angriffe. Der sich auf völkerrechtlich und verfassungsmäßig „dünnem Eis“ befindliche Einsatz der Bundeswehr an den Luftangriffen führt in Deutschland zu einer heftigen Debatte. In dieser bemüht die Politik ahistorische Vergleiche mit Auschwitz und dem Holocaust, um ihre Entscheidungen zu rechtfertigen.

Bombardierung von Miloševićs‘ Parteizentrale 1999, Quelle: ČTKAm 24. März 1999 beginnen die Angriffe. Ziele sind zunächst militärische Einrichtungen und die Flughäfen. Es folgen Teile der Infrastruktur wie Elektroanlagen.
Die Öffentlichkeit wird immer wieder aufgeschreckt, weil bei den Luftangriffen auch Zivilpersonen ums Leben kommen. Die Militärs verwenden dafür den beschwichtigenden Ausdruck „Kollateralschaden“. Um auf das gravierende Missverhältnis zwischen Wort und Tatsache aufmerksam zu machen, wird der Begriff in Deutschland zum „Unwort des Jahres“ 1999.
Nach 35.000 Lufteinsetzen kapituliert Miloševićs und die NATO beendet am 10. Juni 1999 ihre Angriffe.
In den folgenden Monaten kommt es zur Abrechnung mit den Serben im Kosovo. Die UҪK verübt Vergeltung und nutzt das Machtvakuum zu kriminellen Machenschaften (u.a. Handel mit menschlichen Organen).

 

Durch die Bombardements werden 70% der Straßenbrücken zerstört | Quelle: ČTK
Durch die Bombardements werden 70% der Straßenbrücken zerstört | Quelle: ČTK

Miloševićs - politisch am Ende - wird von der neuen „Rest-jugoslawischen“ Regierung dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag übergeben. Im Februar 2008 erklärt sich der Kosovo für unabhängig und wird von der EU diplomatisch anerkannt.
Mittlerweile ist die serbische Minderheit aus dem Gebiet fast verschwunden.

 

Der unterschiedliche Erfahrungshorizont bringt nur wenig Berührungspunkte zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Jugoslawien und der DDR. Mit der sich verschärfenden Krise in Jugoslawien in den 1980er Jahren werden Proteste in Slowenien, wo die Meinungsfreiheit noch am größten ist, immer mehr als Systemkritik interpretiert. Der serbisch dominierte Bund reagiert „stalinistisch“ mit Verfolgungen und Verurteilungen. Mit der Verurteilung der Redakteure der slowenischen Jugendzeitschrift „Mladina“ 1988 werden verstärkt Menschenrechtsfragen aufgeworfen.

Quelle: ABLErst mit der Diskussion von Menschenrechtsfragen in Slowenien entsteht ein gemeinsames Anliegen. Konkret geht es um die Forderung der Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht.

 

PDF Download: Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht Bild: vusta/iStockphoto„Als Europäer protestieren wir gegen die unmenschlichen Praktiken unserer Regierungen.“
Am 21. März 1988 veröffentlichen 400 Oppositionelle aus der ČSSR, Ungarn, Polen, DDR, Jugoslawien und der Sowjetunion einen Appell an die gerade stattfindende Nachfolgekonfernz der KSZE in Wien. Der Aufruf ist der bis dahin breiteste Protest, der in den sozialistischen Ländern initiiert und koordiniert wurde.

Dem Thema nähert man sich in der DDR und in Jugoslawien aus zwei unterschiedlichen Richtungen. Während die DDR in der Abschreckungsdoktrin der beiden Machtblöcke fest integriert ist, kommt es im „blockfreien“ Jugoslawien zur Etablierung der Volksarmee als die tragende Säule des Staates. Die schwache Bundespolitik ermöglicht die stärkere Vereinnahmung der Volksarmee für serbische Interessen. Bereits 1981 wird sie zur Lösung des Kosovo-Konflikts eingesetzt.

Die Möglichkeit, als slowenischer Soldat gegen die eigene Nation marschieren zu müssen, wird als bedrückend empfunden.

 

Sag nein | Quelle: ABL

PDF Download: Wolfgang Borchert Bild: vusta/iStockphotoWolfgang Borchert: „Sag nein!“
In der DDR erscheint seit 1988 eine eigene Zeitschrift im Samisdat unter dem Titel „BeKenntnis“. Der Slogan „Sag nein!“ aus Borcherts Anti-Kriegs-Gedicht von 1947 wird im Jahr darauf zum Namensgeber und Sinnstifter.

 

BeKenntnis | Quelle: ABL

Internationale Treffen finden durch die begrenzten Reisemöglichkeiten meist ohne DDR-Beteiligung statt. Der Informationsaustausch mit der slowenischen Bewegung findet einzig durch das internationale Netzwerk statt und erscheint im Samisdat.

Antimilitärische Urlaubsgrüße aus Slowenien | Quelle: ABL
Antimilitärische Urlaubsgrüße aus Slowenien | Quelle: ABL

Olof-Palme-Marsch 1987 von Torgau nach Riesa (Sachsen) - Transparent der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner“ (DFG-VK) | Quelle: ABL / Chr. Motzer
Olof-Palme-Marsch 1987 von Torgau nach Riesa (Sachsen) - Transparent der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner“ (DFG-VK) | Quelle: ABL / Chr. Motzer

OSTKREUZ - Politik.Geschichte.Kultur

 

PDF Download: Ostkreuz Januar 1989 Bild: vusta/iStockphoto„Grundsätzliche politische Veränderungen sind nur noch eine Frage der Zeit.“
Die (nationalen) Reformen des Sozialismus in Jugoslawien werden von der DDR-Opposition eher mit Skepsis verfolgt. Man ist aus der deutschen Verantwortung heraus allen nationalistischen Strömungen besonders kritisch eingestellt. Hintergründe über die jugoslawische Entwicklung und den forcierten Nationalismus erfährt man nur im Samisdat.

 


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