Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Von 1986 bis 1993 war Peter Wensierski Redakteur bei KONTRASTE. Trotz seines Verbots in die DDR einzureisen, unterhielt er noch viele Kontakte dahin.

Zusammen mit Roland Jahn bemühte er sich in der ARD über Themen zu berichten, die offizielle Korrespondenten aus dem Ost-Berliner ARD-Büro niemals hätten zeigen dürfen. Ihre Vorgesetzten Joachim Trenkner und Jürgen Engert ließen den jungen „Wilden“ dabei freie Hand, was bei anderen Sendern nicht unbedingt möglich gewesen wäre.

  • SFB-Chefredakteur
  • Sendemanuskript
  • peter-wensierski

 

Interview mit Peter Wensierski

Frage: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Roland Jahn?
Roland Jahn sagt ja bis heute immer „Freiheit ist etwas, was man sich nehmen muss". Wir haben uns damals einfach die Freiheit genommen, weiter über die DDR zu berichten, auch wenn Roland aus der DDR rausgeschmissen wurde und ich ebenfalls nicht mehr in die DDR rein durfte – weder privat noch als Journalist. Roland hatte eine Menge Kontakte, hat aber darüber nicht genauer geredet.
Ich hatte ebenso noch viele Kontakte in der DDR. Das passte gut zusammen. Im Prinzip haben wir eine Ost-West-Vereinigung als Team vorweggenommen. Wir haben ab 1986 darüber geredet, welche Themen wichtig sind, besonders für die Opposition in der DDR wichtig sind. Wir haben uns dann nach und nach immer neue Sachen überlegt, seien es die Berichte über Umweltverseuchung oder den ersten Bericht über die öffentlich abgeschirmten Uranabbaugebiete, ein absolutes Tabuthema in der DDR damals.
Es hat uns wirklich Freude gemacht, genau darüber einen Filmbeitrag in der ARD zeigen zu können, über Dinge die die offiziellen Korrespondenten niemals hätten zeigen dürfen, über Dinge, die niemals öffentlich hätten werden sollen.

Frage: Wie hat sich das weiterentwickelt?
Wir hatten über die heimlichen Filmaufnahmen mehr Freiheit damals als die offiziellen Fernsehkorrespondenten und wir haben uns thematisch immer weiter vorgewagt, so wie sich auch die Oppositionellen in der DDR in all den Jahren immer weiter vorgewagt haben, um frechere Dinge zu machen, rebellische Dinge zu machen. Das war es, was uns beide und die Aktivisten jenseits der Mauer verbunden hat, was wir dann von Kontraste-Sendung zu Kontraste-Sendung bis in den Herbst 89 weitergemacht haben.
Man muss ja heute wissen, dass sich damals, Anfang der 80er Jahre, Mitte der 80er Jahre nur sehr wenige Leute im Westen für die Vorgänge, für die Opposition in der DDR-interessiert haben. Doch bei Kontraste im Sender Freies Berlin gab es mehrere Personen, die wirklich ein großes Interesse daran hatten, aus der DDR zu berichten, um die Wirklichkeit in der DDR auch hier im Westen einem Millionenpublikum nahezubringen, sie zu informieren - und gleichzeitig natürlich in die DDR hinein zu informieren, denn in der DDR gab es ja bekanntlich keine freien Medien, aber Millionen Zuschauer des „West-Fernsehens“.
So entstand mit den Jahren auch so etwas wie eine Sendung für die DDR-Opposition, das war ein bisschen auch ein Stück weit „Fernsehen der Opposition“, besonders nachdem wir auf die Idee kamen, Kameras in die DDR zu schmuggeln und Kassetten herausbringen zu lassen. Oppositionelle als Kameramänner haben immer frechere Aufnahmen gedreht, von Umweltproblemen, von Friedensaktivitäten, vom Zerfall der Altstädte, und die ersten Oppositionellen bekamen schließlich auch ein Gesicht, sie waren bei Kontraste für Millionen zu sehen. Genau das war die Zusammenarbeit dieses Ost-West-Teams von Roland Jahn und mir hier.

Frage: War das nicht konfliktträchtig?
Natürlich. Denn dafür braucht man Vorgesetzte, die das alles erlauben und uns auch freie Hand lassen. Unsere Redaktionsleiter waren mutiger als manche andere beim Fernsehen, das, muss ich schon sagen. Es waren Joachim Trenkner und Jürgen Engert, der Moderator und Chefredakteur des SFB. Sie haben Roland und mir freie Hand gelassen, es wäre bei anderen Sendern nicht unbedingt möglich gewesen, das wir hier neben dem offiziellen ARD-Filmmaterial aus dem Ost-Berliner ARD-Büro, einfach aus SED-Sicht illegales Material aus der DDR verwendeten. Das führte auch zu Protesten seitens der DDR, Proteste vom Außenministerium, von der SED - woraus sich hier die beiden Redaktionsleiter aber nichts gemacht haben. Das war gut so, denn Roland und ich haben uns schon immer ausgedacht, was können wir als nächstes machen, welches Thema ist jetzt wichtig, was denkt die Opposition im Osten, und so sind viele Beiträge über die Wirklichkeit in der DDR entstanden.

Frage: Wie kam es genau zur Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Jahn?
Roland Jahn habe ich als Interviewpartner in einem KONTRASTE-Beitrag eingeführt, das war 1986, als es darum ging, wer sind die „Erben“ von Wolf Biermann, da war die Biermann-Ausweisung 10 Jahre her, und da hat Roland Jahn sein erstes Interview gegeben, über die Opposition in Jena und die verschiedenen, Biermann nachfolgenden Generationen philosophiert.
Ich merkte schnell: Er hat die Kontakte und Informationen gehabt, ich hab die ersten Filme gemacht, bald auch mit ihm zusammen und er hat immer sehr stark versucht, das was ihm wichtig war, im Schnitt und bei der gemeinsamen Arbeit auch einzubringen und zu realisieren. Roland Jahn ist jemand, der sehr schnell unbekanntes Terrain erobern kann, denn er war ja kein ausgebildeter Journalist, doch das hat er schnell nachgeholt, mit einem guten Gespür, was Öffentlichkeit bedeutet. Er hat dann schnell die Fähigkeit entwickelt, die Dinge sehr differenziert zu betrachten und nicht einfach nur schwarz-weiß Berichte zu machen, sondern auch die Zwischentöne zu beachten. Das ist glaub ich eine seiner Stärken bis heute.

Frage: Aber sein Name tauchte in der Redaktion nicht sofort auf, warum?
Antwort: Offiziell nach außen gab es überhaupt keinen Roland Jahn, es gab immer nur einen gewissen Jan Falkenberg. Jan Falkenberg, das war sein Pseudonym, nach dem Namen seiner Tochter. Natürlich dachte man, er macht das, denn er will nicht hier in West-Berlin verfolgt werden von der Stasi. Doch es hat nichts genützt, die Stasi hat versucht ihn und seine Arbeit auszuspionieren.

Frage: Wie denn?
Bei Roland waren wir erschrocken, als wir nach dem Sturm auf die Stasi Anfang 1990 im Inneren der Ost-Berliner Zentrale als erstes Kamerateam im Haupt-Archiv waren und die erste Akte, die wir überhaupt dort ansehen konnten, war ein Teil der Akte von Roland Jahn. Da war dann ein Haftbefehl gegen ihn drin, da war seine Privatwohnung in Westberlin im Detail ausspioniert worden, der Schulweg seiner Tochter, das ganze Haus, die Nachbarn, mit genauen Skizzen des Hauses und seiner Wohnung, Da hat man doch gesehen, dass sie das sehr ernst nahmen, was wir hier machten und das gerne unterbunden hätten – oder schlimmeres - die Geschichte hat ihnen allerdings 1989 einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Frage: Und wie war die Gefährdung der anderen Beteiligten?
Roland Jahn hat sich in seiner Arbeit überhaupt nicht gefährdet gefühlt, oder sagen wir mal, sehr wenig. Die DDR Ende der 80er Jahre war anders als in den 50er und 60er Jahren. Die Oppositionellen, die mit uns direkt Kontakt hatten waren durch die Westöffentlichkeit auch in gewisser Weise geschützt. Dennoch blieb manches unberechenbar.

Frage: Was bleibt am Ende von dieser Zusammenarbeit über die Grenze hinweg?
Wir sind beide der Meinung gewesen, also Roland Jahn und ich haben immer geglaubt, dass Berichterstattung im Fernsehen, dass Öffentlichkeit durch Massenmedien mithelfen kann, die Welt zu verändern im Interesse der Menschen. Diese Rolle hatten die Untergrund-Kameras, hatten die kritischen Berichte in den letzten Jahren der DDR. Diese Filme und Beiträge haben selbst mit ein Stück weit zum Untergang eines Unrechtsystems, einer Diktatur beigetragen, die keine Zukunft mehr hatte. Das war schon mit ein Ergebnis. Wir haben einfach genau das erlebt, dass staatliche Autorität, die keine Menschenrechte achtet, letztlich keine Grundlage hat und sich am Ende auch nicht durchsetzen kann - und dass es immer wieder Dinge gibt, die man öffentlich anpacken und wenn notwendig ändern kann. Dass nichts so bleibt, wie es ist. Die Dinge ändern sich manchmal schneller als man denkt.