Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Im Telefoninterview erzählt Reinhard Schult von der Stimmung und den Aktionen am Vortag der Feierlichkeiten zum Jahrestages der DDR. Er berichtet von den Demonstrationen in Dresden und dem massiven Polizeieinsatz mit vielen Verhaftungen. In Magdeburg gab es ebenfalls einen Schweigemarsch mit Forderungen für die Ausreise.

 

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Bild 1: Rainer Schult im Interview, 1989, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig
Bild 2: Route der spontanen Demonstration am 7. Oktober 1989 durch Dresden, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig
Bild 3 und 4: Polizeieinsatz in Leipzig, 7.10.1989, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Martin Jehnichen

 

Biografisches:

Reinhard Schult (1951-2021)

  • 1971 Baufacharbeiter mit Abitur
  • 1971/72 Theologiestudium (Abbruch)
  • Tätigkeit als Maurer und Heizer
  • ab 1978 in verschiedenen oppositionellen Gruppen aktiv
  • September 1989 Mitbegründer Neues Forum

 

Gesprächsprotokoll:

Länge: 20:34 min

Telefoninterview

Reinhard Schult berichtet über die Stimmungen und Aktionen am Vortag der Feierlichkeiten zum Jahrestag der DDR. Er berichtet von den Demonstrationen in Dresden und dem massiven Polizeieinsatz mit vielen Verhaftungen. Auch Verletzte soll es gegeben haben. Die Forderungen der 3 bis 5.000 Demonstranten waren „Gorbi, Gorbi“ und die Internationale aber auch das Deutschlandlied und „Wir wollen raus“ erklangen. In Magdeburg gab es ebenfalls einen Schweigemarsch mit Forderungen für die Ausreise. Im Namen des Neuen Forums ruft Schult dazu auf, nicht zu demonstrieren, da die Situation so aufgeheizt ist. Demonstrationen nützten nur den stalinistischen Hardlinern. Man solle lieber auf allen kommunalen Ebenen neue Strukturen organisieren und über Lösungswege nachdenken. Dann können die Aktivitäten anfangen.

Vom Besuch Gorbatschows verspricht sich Schult einen mäßigenden Einfluss auf die SED. Zur Lösung der Probleme setzt er aber mehr auf die Kraft des stattfindenden gesellschaftlichen Aufbruchs.

Auf seine persönlichen Gefühle zu den Feierlichkeiten angesprochen, ärgert ihn der stattfindende Selbstbetrug. Auch die Massenflucht frustriert ihn. Es wäre besser, die Leute würden jetzt ihre Kraft einbringen und sich zur Wehr setzen. Er nennt Beispiele, wo die Massenflucht spürbare Lücken in der Infrastruktur gerissen hat (Altersheim Grünheide, Nahverkehr Leipzig).

Obwohl das Neue Forum keinerlei Einfluss auf die Demonstrationen der Ausreisewilligen hat, hofft Schult, dass der Einfluss des schon relativ starken Neuen Forums in Leipzig mäßigend wirkt und es zu keinen Ausschreitungen kommt. Keinen Widerspruch zu den Demonstrationen in Leipzig sieht Schult in dem Aufruf des Neuen Forum vom 5.10.1989, sich nicht an den Demos zu beteiligen.

Schult selbst steht unter Stasikontrolle. Viel mehr Sorgen machen ihm aber das massive Aufgebot an Sicherheitsorganen im Land. Die neueste Gewaltandrohung des Staates ist der Artikel in der Leipziger Volkszeitung vom heutigen 6.10.1989.

Die Resonanz auf das Neue Forum in der DDR ist sehr hoch. Schult nennt Veranstaltungen in Schwerin, Erfurt, bei Zittau, Frankfurt und Berlin. Menschen aller Berufsgruppen beteiligen sich auch Parteimitglieder.

Zum Abschluss werden noch Veranstaltungen in Kirchen in Berlin genannt und der Brief an Gorbatschow vorgelesen.

 


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