Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Nach ihrer Verhaftung im Zusammenhang mit der Luxemburg-Liebknecht Demonstration am 17. Januar 1988 wird Wollenberger für ein Jahr nach England abgeschoben. Im Interview erklärt sie ihre Entscheidung, das Angebot der Stasi angenommen zu haben.

 

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Bild 1: Vera Wollenberger beim Interview, 1988, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig
Bild 2: Die von Ausreiseantragstellern in Berlin gegründete „AG Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ mischte sich mit eigenen Transparenten in die alljährlich von der SED inszenierte Gedenkveranstaltung zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Quelle: Robert Havemann-Gesellschaft
Bild 3: Chronik der Ereignisse in Berlin, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / doku
Bild 4: Friedensgebet in Leipzig für die Inhaftierten, Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / doku

 

Biografisches:

Vera Lengsfeld (gesch. Wollenberger, Jg. 1952)

  • 1970 bis 1975 Studium der Geschichte und Philosophie in Leipzig und Berlin
  • 1975 Eintritt in die SED
  • Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften
  • 1981 Mitbegründerin des "Friedenskreises Pankow"
  • 1983 Berufsverbot, Ausschluss aus der SED
  • 1988 Verhaftung im Umfeld der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration
  • 1988 Ausweisung in den Westen

 

Gesprächsprotokoll:

Länge: 28:39 min

Wollenberger sieht in ihrer Ausweisung und der ihrer Mitstreiter einen Differenzierungsprozess innerhalb der SED-Politik. Entgegen dem Anschein, die SED geht seit der Biermann-Ausbürgerung rigoros gegen Andersdenkende vor, zeigen die letzten Erfahrungen, dass dem nicht so ist. Eine dieser positiven Erfahrungen stellt der Olof-Palme-Marsch vom September 1987 dar, als man mit eigenen Transparenten durch die DDR gelaufen ist. Auch ihre Ausweisung ist so ein Indiz, denn erstmals stand nicht die Alternative: Ausbürgerung oder Haftstrafe. Ihre Entlassung sei nur eine zeitweise Ausweisung und sie könne in die DDR zurück. Obwohl sie wegen Zusammenrottung verurteilt wurde, muss sie die Strafe nicht absitzen, sondern kann für ein Jahr nach England gehen. Ihr Problem ist, wie sie das ihren Freunden erklären kann. Für sie bestand die Alternative weitere fünf Monate im Gefängnis zu bleiben oder das Angebot von England anzunehmen. Das Zusammensein mit ihren Kindern spielte bei der Entscheidung eine große Rolle. Außerdem brauche sie einen Abstand zur deutsch-deutschen Politik. Wollenberger verteidigt die Strategie, es nicht auf die Konfrontation ankommen zu lassen, sondern im Sinne einer Konfliktlösung nach Kompromissen zu suchen. Im Gegensatz zu Peter Wensierski sieht sie auch in den Reihen der SED Anzeichen zur Kompromissbereitschaft. Als Beispiel nennt sie das SED-SPD-Grundsatzpapier, in dem es auch um die Reformfähigkeit beider Systeme geht. Selbst Honecker habe gesagt, man müsse ins Gespräch kommen. Wollenberger will, entgegen der Erfahrung, die Politiker beim Wort nehmen. In der DDR sieht sie einen von vielen Schichten getragenen Prozess, der von der SED nicht unberührt bleiben wird und auch in der SED Veränderungen bewirken kann. Als Beispiel berichtet sie ausführlich von einer Umweltkonferenz der Gesellschaft für Natur und Umwelt vom Oktober 1987 in Thüringen. Da trat ein Volkskammerabgeordneter auf, der durch die praktische Erfahrung mit der Umweltsituation zum Umdenken kam. Der Interviewer fragt nach der Naivität solcher Beispiele, wenn die zentrale Macht weiterhin rigoros gegen andere Meinungen vorgeht. Trotzdem meint Wollenberger das der Druck an der Parteibasis wächst. Im Gegensatz zu westlichen Demokratien braucht es in der DDR keine Massenbewegung. Hier kann das Engagement weniger Leute, etwas in Bewegung setzen.

Nach den Ereignissen im Januar 1988 war Wollenberger über die große Solidarität überrascht. Sie war noch mal größer als im November 1987. Doch wenn die Staatsmacht gehofft hatte, sich irgendwelcher führenden Köpfe und damit der Bewegung entledigen zu können, so wird diese Rechnung nicht aufgehen. Wollenberger attestiert der Friedensbewegung in der DDR ein dezentrales und damit eigenverantwortliches Agieren.

Perspektivisch hofft sie, dass die Vermittlerrolle der Kirche durch eine anerkannte unabhängige Basisbewegung ersetzt wird.


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