Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Minen! –
Betreten verboten!

Bosnien-Herzegowina 2012, Quelle: ABL

Die Wahrnehmung des kommunistischen Jugoslawiens wird von der Brutalität des verheerenden Bürgerkriegs in den 1990er Jahren überlagert und in der kollektiven Erinnerung idealisiert.
In einem Exkurs soll daher die „Explosion“ Jugoslawiens in knappen Zügen nachvollzogen werden - ist sie doch gleichzeitig ein „Lehrstück“ für mögliche Folgen fehlender europäischer Integration.

Jozip Broz –
total toll

Bosnien-Herzegowina 2012, Quelle: ABL

Europäisches Versagen  - Jugoslawische Bürgerkriege | Quelle: ABL

Zehn-Tage-Krieg in Slowenien

In der Nähe von Maribor 1991 | Quelle: ČTK

Am 25. Juni 1991 wird die Republik Slowenien ausgerufen und am 27. Juni marschiert die jugoslawische Volksarmee in Slowenien ein. Zur Überraschung der Militärs stoßen sie jedoch auf starken Widerstand. Einheiten der Territorialverteidigung leisten konsequente Gegenwehr. Die Zivilbevölkerung unterbricht Kommunikations- und Versorgungswege und blockiert Kasernen.

Jugoslawischen Volksarmee 1991, Quelle: ČTKDie Zusammensetzung der Volksarmee erweist sich als denkbar ungünstig, um gegen abtrünnige Republiken vorgehen zu können.
Bereits während der Vorbereitung des Einsatzes desertieren ca. 2.500 slowenische Soldaten und 500 Zivilbeschäftigte aus der Volksarmee.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Nationalitäten, so dass die Volksarmee immer mehr serbisch dominiert wird. Damit zerfällt auch die letzte Stütze des jugoslawischen Bundes.

Unter Vermittlung der Europäischen Gemeinschaft (EG) wird am 3. Juli ein Waffenstillstand vereinbart und am 7. Juli ein Abkommen („Erklärung von Brioni“) verabschiedet, in dem sich Slowenien und Kroatien bereiterklären, die Durchsetzung ihrer Unabhängigkeit für drei Monate auszusetzen, um Zeit für eine friedliche Lösung des Konflikts zu haben. Im Gegenzug zieht sich die Armee zurück – und kehrt nie wieder. Auf Miloševićs‘ Betreiben wird Slowenien „fallen gelassen“. Er konzentriert sich vielmehr auf die Durchsetzung seiner Ziele in Kroatien.

 

Kroatien

Bombardierung von Dubrovnik 1991 | Quelle: ABL
Bombardierung von Dubrovnik 1991 | Quelle: ČTK

Mit dem Aufschwung des kroatischen Nationalismus unter Franjo Tudjman werden unter den in Kroatien lebenden Serben die schlimmen Erinnerungen an den Völkermord des faschistischen Ustascha-Regimes im II. Weltkrieg instrumentalisiert. Bereits ab August 1990 riegeln die in Kroatien lebenden Serben ihre Siedlungsgebiete ab (ab Dezember 1991 Republik Serbische Krajina). Es bilden sich serbische Milizen und paramilitärische Einheiten unter Beteiligung von Fußball-Hooligans. Sie werden finanziell und materiell von Serbien getragen.

Vukovar 1991, Quelle: ČTKAb August 1991 beginnen die den Krieg prägenden ethnischen Säuberungen. Bis zum Dezember 1991 werden geschätzte 80.000 Kroaten aus den serbischen Siedlungsgebieten vertrieben. Dubrovnik und andere Städte werden bombardiert.
Im November kommt es zu ersten Massenmorden in der Nähe von Vukovar.

Nach Ablauf des Moratoriums von Brioni wird Kroatien wie Slowenien am 8. Oktober 1991 offiziell unabhängig. Mit einer diplomatischen Anerkennung will man den „internen“ Konflikt internationalisieren. Doch die Europäische Gemeinschaft (EG) ist unfähig, gemeinsam zu handeln. Erst am 23. Dezember erfolgt die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens in einem Alleingang Deutschlands. Drei Wochen später folgen die europäischen Partner. Entgegen ihren Zielen akzeptiert die EG damit verspätet den Zerfall Jugoslawiens. Zeit genug für Miloševićs, vollendete Tatsachen zu schaffen. Mit der Besetzung von ⅓ des kroatischen Territoriums durch die kroatischen Serben sind die Kriegsziele erreicht.
Am 8. Januar 1992 erklärt Miloševićs den Krieg für beendet.

 

Bosnien-Herzegowina

In Bosnien-Herzegowina sind die Spaltungsprozesse noch komplizierter. Die politischen Parteien bilden rein nationale Sammelbecken. Die Siedlungsgebiete der drei Nationen (Bosniaken, Kroaten, Serben) sind nicht klar trennbar, denn sie sind ethnisch derart gemischt, dass keine der Gruppen eine absolute Mehrheit besitzt. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum Ende Februar 1992 beginnt analog den „Bedrohungsszenarien“ der Serben im Kosovo und in Kroatien der Krieg. Im Sommer sind ⅔ des Landes besetzt. Es entstehen mehrere muslimische Enklaven.

Sarajevo, 1993, Quelle: ČTKBereits Anfang April 1992 ist die Hauptstadt Sarajevo von serbischen Truppen eingekesselt. Es beginnt die längste Blockade (und Luftbrücke) einer Stadt im 20. Jahrhundert (bis Februar 1996).
Neben der dramatischen Versorgungslage besteht das Leben der Einwohner aus Dauerbeschuss, Heckenschützen, Raub und Vergewaltigungen.

Galgenhumor aus Sarajevo
„Was macht ein Mädchen auf einer Schaukel?“
„Es narrt die Scharfschützen.“

Im Frühjahr 1993 weitet sich der Krieg auf einen kroatisch-bosnischen Gegensatz aus. Die bosnischen Kroaten streben einen Anschluss ihrer Gebiete an Kroatien an. Hintergrund sind die kroatischen und serbischen Absprachen zur Aufteilung Bosnien-Herzegowinas (Großkroatien und Großserbien).
Völkerrechtlich prekär ist die Situation für die Republik Kroatien. 1992 hat man die Republik Bosnien-Herzegowina als souveränen Staat anerkannt und beginnt jetzt de facto einen zwischenstaatlichen Krieg mit dem Ziel der Annexion.

Bosnische Kroaten, Serben und Muslime | Quelle: ABL

Das Streben nach Abgrenzung äußert sich in den Gründungen parastaatlicher „Republiken“ innerhalb der 1990 gegründeten Republik Bosnien-Herzegowina (Präsident: Alija Izetbegović)
- Mai 1992 „Serbische Republik“ unter Radovan Karadžić, Hauptstadt Banja Luka
- August 1993 „Kroatische Republik Herceg-Bosna“ unter Mate Boban, Hauptstadt Mostar

Neben den regulären Armeen rekrutieren alle Kriegsparteien paramilitärische Banden, die marodierend durch das Land ziehen und für die schnell ausufernde Gewalt verantwortlich sind. Es werden Gewaltphantasien ausgelebt, Menschen gedemütigt, Frauen vergewaltigt und eigene Ziele der Bereicherung verfolgt. Beispielhaft für die vielen Verbrechen steht der Völkermord in Srebrenica. Der Krieg zieht Söldner und Abenteurer aus vielen Ländern an. Jede Kriegspartei macht sich durch Verbrechen schuldig.

Bosnische Kroaten Bosnische Muslime Bosnische Serben
13 Banden 14 Banden 56 Banden
z.B.„Kroatische Verteidigungskräfte“ - Paramiliz z.B. „Grüne Barette“ – Paramiliz, Mudschaheddin aus Afghanistan z.B. „Wochenendkrieger“ aus Serbien, „Arkans Tiger“ - Hooligans des Fußballklubs Roter Stern Belgrad, „Glaubenskrieger“ aus Russland und Griechenland

 

Massengrab in Bosnien 1996 | Quelle: ČTK
Massengrab in Bosnien 1996 | Quelle: ČTK

Im Bosnienkrieg gibt es keine „großen“ Schlachten zwischen Armeen um Geländegewinne. Die Kriegshandlungen beziehen sich in erster Linie auf die Zivilbevölkerung. Etwa 100.000 Menschen kommen ums Leben. Davon sind 70% Muslime.

Paradigmenwechsel
Die internationale Akzeptanz und Praxis von Zwangsumsiedlungen (ethnischen Säuberungen) nach den beiden Weltkriegen, um Konflikte zu regulieren, ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Leitbild der Menschenrechte über ethnische und nationale Grenzen hinweg gewichen.
Dementsprechend überrascht zeigen sich die Konfliktparteien ob der internationalen Ablehnung ihres Handelns. Die internationale Öffentlichkeit wiederum ist geschockt, weil man ethnische Kriege in Europa nicht mehr für möglich gehalten hat.

 

Die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen werden seit 1994 am Internationalen Gerichtshof in Den Haag (Kriegsverbrechertribunal) juristisch aufgearbeitet.

 

Das Abkommen von Dayton

UN-Truppen 1992, Quelle: ČTKDie internationale Politik bleibt nach Ausbruch der Kriege unentschlossen. Die Amerikaner betrachten den Konflikt als europäische Angelegenheit und die Europäer setzen auf eine diplomatische Lösung. Keiner will eigene Verluste riskieren. Dazu ist die Region strategisch zu unwichtig geworden.
Die UNO verhängt 1992 Sanktionen und errichtet „Safe Areas“ mit Blauhelm-Truppen, die die Zivilbevölkerung schützen sollen. All das ist halbherzig und unterschätzt die Dynamik und Dramatik der Ereignisse.
In der Folge entstehen verschiedene Friedenspläne, die jedoch an der Zustimmung der Konfliktparteien scheitern.

Erst auf Druck der USA kommt es im Frühjahr 1995 zur Kriegswende. Von den Amerikanern unterstützt bzw. toleriert erobert die kroatische Armee die serbische „Republik Krajina“ zurück – begleitet von ethnischen Säuberungen. Im August sind nahezu alle Serben geflohen oder vertrieben.
Eine Allianz aus kroatischer und bosnischer Armee, die von NATO-Luftangriffen auf serbische Stellungen unterstützt wird, setzt den Vormarsch in Bosnien-Herzegowina fort. Demoralisiert befinden sich die bosnischen Serben in einer verzweifelten Lage. Im Oktober 1995 verhindert ein Waffenstillstand eine neue Flüchtlingskatastrophe und die serbische Seite stimmt Verhandlungen zu.

Dayton (Ohio) 1.11.1995 | Quelle: ČTK
Dayton (Ohio) 1.11.1995 | Quelle: ČTK

Im Herbst 1995 sitzen die Kriegsparteien (Alija Izetbegović –l., Franjo Tudjman – M., Slobodan Miloševićs – r.) in Dayton (Ohio) und verhandeln ein Friedensabkommen, dass im Dezember in Paris unterzeichnet wird.
Erstmals wird jetzt ein ethnischer Konflikt nicht mit weiteren Zwangsumsiedlungen beigelegt, sondern im Gegenteil: Es wird den Menschen ein Rückkehrrecht zugesprochen.
Das Land wird in zwei autonome Gebiete geteilt:

Konföderation Bosnien-Herzegowina (BiH) | Quelle: ABL

Ein Beweis der Stabilität ohne internationale Kontrolle steht noch aus.

 

Kosovo

Non-Serbs only Bei den Verhandlungen in Dayton wird der Konflikt im Kosovo „übersehen“. Dabei hat sich seit Beginn der 1990er Jahre ein regelrechtes „Apartheid-Regime“ im Kosovo gebildet. Serben verdrängen Albaner aus nahezu allen öffentlichen Einrichtungen und Institutionen.

Als Reaktion darauf entstehen Strukturen eines albanischen „Untergrund-Staates“ (eigene Schulen, Medien, Krankenhäuser). Gleichzeitig leisten Albaner gewaltlosen Widerstand gegen die serbischen „Herren“.

UҪK-Kämpfer 1998, Quelle: ČTKMit der Negierung der Kosovofrage im Dayton-Abkommen und dem wirkungslosen Widerstand radikalisiert sich die Stimmung vor allem unter den jungen Menschen. Die bis dahin relativ unbedeutende Guerilla UҪK (Kosovarische Befreiungsarmee) erhält ab 1996 regen Zulauf und es beginnt eine Spirale von Gewalt und Vergeltung. Die Grenzen zwischen Freiheitskampf und organisierter Kriminalität sind dabei fließend. Ab dem Frühjahr 1998 breiten sich die Kämpfe flächenbrandartig aus.

Ein wochenlanger Verhandlungsmarathon führt im März 1999 zu keinem Ergebnis. Der Bezug auf das bis heute umstrittene „Massaker“ von Račak, veranlasst die NATO ohne UN-Mandat das Feuer auf Serbien zu eröffnen. Einzig die Erfahrungen der letzten Jahre, einer „humanitären Katastrophe“ (Bundeskanzler Gerhard Schröder) zuvorkommen zu wollen, legitimieren die Angriffe. Der sich auf völkerrechtlich und verfassungsmäßig „dünnem Eis“ befindliche Einsatz der Bundeswehr an den Luftangriffen führt in Deutschland zu einer heftigen Debatte. In dieser bemüht die Politik ahistorische Vergleiche mit Auschwitz und dem Holocaust, um ihre Entscheidungen zu rechtfertigen.

Bombardierung von Miloševićs‘ Parteizentrale 1999, Quelle: ČTKAm 24. März 1999 beginnen die Angriffe. Ziele sind zunächst militärische Einrichtungen und die Flughäfen. Es folgen Teile der Infrastruktur wie Elektroanlagen.
Die Öffentlichkeit wird immer wieder aufgeschreckt, weil bei den Luftangriffen auch Zivilpersonen ums Leben kommen. Die Militärs verwenden dafür den beschwichtigenden Ausdruck „Kollateralschaden“. Um auf das gravierende Missverhältnis zwischen Wort und Tatsache aufmerksam zu machen, wird der Begriff in Deutschland zum „Unwort des Jahres“ 1999.
Nach 35.000 Lufteinsetzen kapituliert Miloševićs und die NATO beendet am 10. Juni 1999 ihre Angriffe.
In den folgenden Monaten kommt es zur Abrechnung mit den Serben im Kosovo. Die UҪK verübt Vergeltung und nutzt das Machtvakuum zu kriminellen Machenschaften (u.a. Handel mit menschlichen Organen).

 

Durch die Bombardements werden 70% der Straßenbrücken zerstört | Quelle: ČTK
Durch die Bombardements werden 70% der Straßenbrücken zerstört | Quelle: ČTK

Miloševićs - politisch am Ende - wird von der neuen „Rest-jugoslawischen“ Regierung dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag übergeben. Im Februar 2008 erklärt sich der Kosovo für unabhängig und wird von der EU diplomatisch anerkannt.
Mittlerweile ist die serbische Minderheit aus dem Gebiet fast verschwunden.

 


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