Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Die Themenblöcke zu Polen

Unterschiedliche Voraussetzungen der Opposition

Cover Peace University | Quelle: Robert-Havemann-GesellschaftDie lange Tradition des Widerstandes in Polen wirkt inspirierend und mobilisierend auf die Opposition in der DDR der 1980er Jahre. Genau verfolgt man deren Entwicklung – von der Annäherung zwischen katholischen Laien und Linken in den „Klubs der katholischen Intelligenz“ seit den 1960er Jahren bis zur Verbindung zwischen Intellektuellen und Arbeitern mit der Gründung von KOR (Komitet Obrony Robotnikow - Komitee zur Verteidigung der Arbeiter) im Jahr 1976. Diese Bündnisse führen zum Erfolg der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność 1980.
Das universelle Thema sind die Menschenrechte, ohne die ein dauerhafter Frieden in Europa nicht möglich wird.
Polnische Oppositionelle suchen immer wieder den internationalen Kontakt. Durch die Überwindung der Blockgrenzen (Ost-West-Konflikt) soll die eigene Unabhängigkeit vom sowjetischen Imperium erreicht werden.

Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft


PDF Download: Liebe Freunde in Polen. Bild: subjug/iStockphoto Stephan Bickhardt weist 1986 auf die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in der DDR und in Polen hin. Die DDR-Opposition muss die deutsche Schuldfrage und die deutsche Teilung bedenken. Die globale Blockkonfrontation kulminiert in der Teilung Deutschlands, d.h. ein Demokratisierungsprozess in der DDR ist an weltpolitische Interessen gebunden. (Quelle: ABL)


Wichtige Kontaktpersonen zur polnischen Opposition sind Ludwig Mehlhorn und Wolfgang Templin.

Cover Peace University | Quelle: Robert-Havemann-GesellschaftLudwig Mehlhorns (1950-2011) Credo war „Solidarität zwischen Völkern lässt sich nicht anordnen. Sie braucht Worte.“ Erst recht bei solch unterschiedlichen historischen Erfahrungen und religiösen Traditionen wie zwischen Deutschen und Polen.

Dementsprechend vermittelt er über viele Jahre und organisiert Netzwerke. Auf Grund seiner Polnisch-Kenntnisse übersetzt er polnische Untergrund-Schriften ins Deutsche. Ein Reiseverbot zwischen 1981 und 1987 schafft all dem keinen Abbruch.


PDF Download: ODER – Literarische Texte. Bild: subjug/iStockphoto Als Mitherausgeber veröffentlicht Mehlhorn 1987 literarischer Texte zur deutsch-polnischen Verständigung im Untergrundverlag „Radix“. „Auf dem Weg über die ODER (etwas weiter südlich die Neiße) fahren wir in das Land, das vielen Deutschen fremd vorkommt.“ (Quelle: ABL)

 

Initiative Frieden und Menschenrechte – IFM

Wolfgang Templin, Ralf Hirsch, Bärbel Bohley, Ulrike und Gerd Poppe | Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft Besonders für die im März 1986 gegründete „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ (IFM) stehen die Erfahrungen des KOR und der Charta 77 in der ČSSR Pate. Sie ist die erste von der Kirche unabhängige Oppositionsgruppe in der DDR. Der Impuls zur Gründung ist, in der DDR konkrete Menschenrechtsarbeit zu leisten und das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Dabei will man auf die Oppositionserfahrung der osteuropäischen Länder zurückgreifen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Wolfgang Templin, Ralf Hirsch, Bärbel Bohley, Ulrike und Gerd Poppe. Eine feste Organisationsstruktur gibt es nicht - Mitglied wird, wer etwas tut.

 

„Die Initiative Frieden und Menschenrechte ist eine Gruppe mit nicht festgeschriebenen Mitgliedern, sie existiert durch deren Mitarbeit, was die Mitgliedschaft in ihr ausmacht. Sie ist ein Zusammenschluß von Engagierten, von Christen und Marxisten, von Arbeitern und Intellektuellen. Sie überläßt den einzelnen die individuelle Entscheidung der Form seiner Mitarbeit, läßt Spielräume für Einzelaktivitäten. Mitglieder der Initiative nutzen internationale und nationale politische Ereignisse, um ihre Vorstellungen zur Menschenrechtsfrage in der DDR und Osteuropa darzulegen und rufen zur Auseinandersetzung auf.“ (Januar 1986)

IFM 1987

IFM 1987, v.l.: Ulrike Poppe, Martin Böttger, Antje Böttger, Stephan Bickhardt, Regina Templin, Ralf Hirsch, Rainer Dietrich (IM der Staatssicherheit), Wolfgang Templin (Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)

Untergrund-Zeitschrift „grenzfall“

Grenzfall""
Große Bedeutung hat die vom IFM herausgegebene Zeitschrift „grenzfall“. Während die Nr. 1 zur Berliner Friedenswerkstatt im Juni 1986 innerhalb kirchlicher Räume verteilt wird, bildet die Nr. 2 die eigentliche Startauflage.

PDF Download:  Grenzfall Nr. 2. Bild: subjug/iStockphotoAls A6-Fotoabzüge werden 50 Stück von Hand zu Hand weitergereicht. (Quelle: ABL)

 


Zwischen 1986 und 1989 erscheinen 17 Ausgaben mit einer Auflage von 800 bis 1.000 Exemplaren. „grenzfall“ ist die erste Untergrundzeitschrift, die unabhängig von der Kirche erscheint. Beiträge über Polen dienen dabei immer wieder als mobilisierendes Vorbild.

Bernd Oehler: "Die haben richtig Massen bewegt."
Eine wichtige Quelle sind persönliche Erlebnisse in Polen.

Lebenslauf Bernd Oehler

 Björn: "Reiseimpressionen aus Polen oder Eine Lektion Zivilcourage"

 


Berlin, 29.6.1986: Stand der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ auf der Friedenswerkstatt in der Erlöserkirsche (v.l.: Peter Rölle, Monika Haeger, Martin Böttger, Gerd Poppe, Ruth Kibelka). | (Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)

„WiP“ und „IFM“

Logo WiP | Quelle: ABL
Zu einer besonders intensiven Zusammenarbeit kommt es zwischen der IFM und der polnischen Oppositionsgruppe „Wolnośc i pokój“ (WiP - Freiheit und Frieden). Deren Statements auf Abrüstungskonferenzen in Westeuropa gelangen nach Ostberlin und man fühlt sich diesen eher verpflichtet als der heterogenen Solidarność.
Ein gemeinsames Thema ist der Kampf um die Auflösung der politischen Blöcke. Brennende Menschenrechtsfragen seien nur in diesem Zusammenhang zu lösen.

(Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)
(Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)

Flugplattaktion von Wolność i Pokoj 1987 in Warschau. Sie fordern die Freilassung tschechischer und ungarischer Aktivisten. (Quelle: Stiftung Zentrum Karta)
Flugplattaktion von Wolność i Pokoj 1987 in Warschau. Sie fordern die Freilassung tschechischer und ungarischer Aktivisten. (Quelle: Stiftung Zentrum Karta)

Auch umgekehrt setzt man sich von DDR-Seiten für die Freilassung polnischer Dissidenten ein. (Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)
Auch umgekehrt setzt man sich von DDR-Seiten für die Freilassung polnischer Dissidenten ein. (Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)

title=
Briefmarken sind in Polen ein probates Mittel, Öffentlichkeit zu erreichen. (Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)


Im Mai 1987 veranstaltete - Wolność i Pokoj - ein internationales Friedensseminar. Trotz Ausreiseverbote können Vorschläge der DDR-Opposition durch westdeutsche Initiativen in das Seminar eingebracht werden.

Gerd Poppe: „Nur die Überwindung des Status Quo führt zum Frieden.“
Auf dieser Grundlage kommt es zur Zusammenarbeit verschiedener internationaler Gruppen, so auch mit „Wolność i Pokoj“.

Lebenslauf Gerd Poppe

 


PDF Download:  AufrufMit dem Bezug auf die gesellschaftlichen Veränderungen in der Sowjetunion, Ungarn und in Polen öffnet sich die bisher auf Berlin beschränkte „Initiative für Frieden und Menschenrechte“. Am 11. März 1989 ruft sie zur DDR-weiten Mitarbeit auf.

 


Montagsdemonstration in Leipzig 27.11.1989


Thomas Rudolph, einer der drei DDR-weiten Sprecher von IFM, kündigt einen Runden Tisch für die DDR an - so wie in Polen und Ungarn.
Quelle: ABL / G. Gäbler


„Wind of Change“: Am 23. April 1990 wird der Bürgerrechtler Markus Meckel, jetzt Außenminister der DDR, vom einstigen Militärdiktator und nunmehrigen Präsidenten der Republik Polen Wojciech Jaruzelski in Warschau empfangen. (Quelle: Bundesarchiv)

Lebensläufe

Gerd Poppe

  • 1941 geboren
  • 1959 bis 1964 Physikstudium in Rostock
  • 1965 bis 1976 Physiker im Halbleiterwerk Stahnsdorf
  • seit der Niederschlagung des Prager Frühling 1968 in der politischen Opposition
  • Organisation verschiedener informeller Gruppen
  • 1977 bis 1984 Maschinist in einer Berliner Schwimmhalle
  • 1980 bis 1989 generelles Auslandsreiseverbot
  • 1984 bis 1989 Ingenieur beim Diakonischen Werk
  • Mitinitiator der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ 1985
  • Mitherausgeber und Autor in verschiedenen illegalen Publikationen
  • 1989/90 Mitglied am Zentralen Runden Tisch der DDR
  • 1990 bis 1998 Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90 / Die Grünen
  • 1998 bis 2003 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung

 

Bernd Oehler

  • in der Nähe von Crimmitschau 1960 geboren
  • 1980 – 82 Bausoldat
  • 1983 Theologiestudium in Leipzig
  • Mitarbeit in oppositionellen Gruppen, enger Kontakt zur "Initiative Frieden und Menschenrechte"
  • Unter dem Decknamen "Björn" schrieb er für den "Grenzfall".
  • Heute: Gemeindepfarrer in Meißen

 

 

„Konterrevolution“ in Polen

Logo Robotnicy'80 | Quelle: ABL Mit der Legalisierung von Solidarność im September 1980 befürchtet die SED ein Übergreifen der Bewegung auf die DDR. Es beginnt eine antipolnische Kampagne der SED unter Ausnutzung der Ressentiments in der Bevölkerung. "Zum Schutz der Interessen der Bürger der DDR" wird am 30.10.1980 die Grenze auch nach Osten geschlossen. Legitimiert wird dieser Schritt u.a. mit dem polnischen Konsumtourismus: "Diese massenhaften Warenabkäufe, zum Teil verbunden mit Schieber- und Spekulationsgeschäften, haben ein nicht vertretbares Ausmaß erreicht und stoßen bei den Bürgern der DDR zunehmend auf Ablehnung", so der Ministerrat der DDR.

1981 LERNT POLNISCH | Quelle:  Robert-Havemann-Gesellschaft Während seiner Bausoldatenzeit fertigt Thomas Kretschmer aus Erfurt dieses auf NVA-Laken gebatikte Tuch an. Als Neujahrsgruß 1981/82 verschickt er das Motiv an verschiedene Freunde. Kurz nach der Verkündung des Kriegsrechts wird er im Januar 1982 verhaftet und zu 4 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Davon muss er 3 Jahre und 9 Monate absitzen.

Das ganze Jahr 1981 werden parteitreue Delegationen nach Polen entsendet, um sich ein Bild über die Akzeptanz der Solidarność in der Gesellschaft zu machen. Die SED-Genossen sind überrascht, dass selbst polnische Parteikreise von notwendigen Veränderungen sprechen und vor einem Einmarsch der Armeen des "Warschauer Vertrages" warnen. Dieser würde demnach zum Bürgerkrieg führen. Der SED-Kampfbegriff "Konterrevolution" kennzeichnet nun die Situation für das Nachbarland.


Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Stereotype und antipolnischen Ressentiments

Unter diesen Umständen nutzt die SED die Stereotypen, die das Polen-Bild in der Bevölkerung prägen. Sie kolportiert den Eindruck: "Die Polen streiken, weil sie nicht arbeiten wollen." Damit entsteht eine gefährliche Allianz zwischen Macht und Dummheit.


Quelle: ABL / Bundesarchiv

Quelle: ABL

Der Besitz von Materialien der Solidarność wird verfolgt und bestraft. Sympathie- und Solidaritätsäußerungen sollen im Zusammenwirken von Staat, den Betrieben, den Schulen und der Staatssicherheit schon im Vorfeld aufgedeckt werden.

 

Polnisches Informations- und Kulturzentrum Leipzig

PDF Download: Informationsbedarf der Staatssicherheit. Bild: subjug/iStockphoto Das "Polnische Kultur- und Informationszentrum" in Leipzig unterliegt einer sehr genauen Kontrolle durch die Staatssicherheit. In der Institution sieht man einen Anlaufpunkt für Sympathisanten der Solidarność.

 


Das Interesse der Stasi ist nicht unbegründet, denn die Besucherzahlen steigen rapide. Vor allem Jugendliche und Akademiker sind auf der Suche nach Informationen. Als Einrichtung des polnischen Generalkonsulats verhält sich das "Polnische Kultur- und Informationszentrum" den Machthabern gegenüber aber loyal.


Quelle: BStU

Reaktionen auf den Kriegszustand


Quelle: Europejskie Centrum Solidarności, Gdansk

Graffiti

Graffitis


Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Roland Jahn: "Es wurde verhaftet, wenn das Maß voll war."


(Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Bundeszentrale für politische Bildung)

Lebenslauf Roland Jahn

 

Solidarität von „oben“ und „unten“


Quelle: Bundesarchiv

Diese Leistungen sind keineswegs uneigennützig. Staatlich unabhängige Solidaritätsaktionen und private Kontakte werden nach wie vor streng kontrolliert und reglementiert. So gibt es genaue Vorschriften, was man als Privatperson nach Polen schicken darf.

PDF Download: Postsendungen nach Polen. Bild: subjug/iStockphoto Diese Informationen sind jedoch, nur über die Kirche zu bekommen.

 

 


Paketschein für eine private Sendung nach Polen, Quelle: ABL

Reisen nach Polen sind nach der Grenzschließung nur noch über die staatlichen Reisebüros (Jugendtourist) möglich. Für individuelle Reisen ist eine polnische Einladung notwendig, um eine Ausreise genehmigt zu bekommen.


Übersetzung einer Einladung nach Polen, Quelle: ABL

Karim Saab: "Aus dieser Perspektive konnte ich die DDR kaum verstehen."


Saab findet andere Wege nach Polen und schwärmt von der dortigen Atmosphäre.
Lebenslauf Karim Saab

 

Lebenslauf:

Karim Saab

  • geb. 1961 in Heidelberg
  • Übersiedlung der Mutter nach Radebeul 1965/66
  • 1977 Buchhändlerlehre in Leipzig
  • Musikedition Peters für 13 Monate
  • Museum für Völkerkunde
  • Theologiestudium in Naumburg
  • Anfang der 1980er Gründung der Initiativgruppe "Hoffnung Nicaragua"
  • Totalverweigerung des Militärdienstes
  • Herausgeber des Samisdat "Anschlag"
  • Mai 1989 Ausreise in die Bundesrepublik
  • Seit 1992 Journalist

Roland Jahn

  • geb. 1953 in Jena
  • seit 1974 engagiert er sich in oppositionellen Gruppen in Jena
  • 1977 wird er vom Studium der Wirtschaftswissenschaften exmatrikuliert
  • Als am 12. April 1981 sein Freund Matthias Domaschk in der Stasi-Untersuchungshaft aus ungeklärten Umständen stirbt, macht er dessen Tod mittels der West-Medien öffentlich.
  • Nach verschiedenen Postkartenaktionen und seiner demonstrativen Sympathie für die polnische Solidarność-Bewegung wird er 1982 verhaftet.
  • Internationale Proteste führen nach fünf Monaten Untersuchungshaft zur Entlassung von ihm und weiteren Oppositionellen.
  • 1983 wird er nach weiteren öffentlichkeitswirksamen Aktionen in die Bundesrepublik gegen seinen Willen abgeschoben.
  • Als freier Journalist arbeitet er für TV, Tageszeitungen, Radio Glasnost. Er ist die Stimme der DDR-Opposition im Westen und agiert als Kontaktperson.
  • 2010 erhält er die Dankbarkeitsmedaille der Solidarność
  • 2011 wird er Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU).

 

  • pabst600

Papst Johannes Paul II :: bei seinem Besuch in Polen 1987 mit der ersten Ausgabe der Tygodnik Solidarność - Quelle: BStU

Zwischen 1976 und 1980 agiert die Opposition in Polen völlig offen. Es gelingt ihr u.a. über eigene Verlage und Publikationen, eine unabhängige Öffentlichkeit herzustellen.
Ab 3. April 1981 erscheint wöchentlich "Tygodnik Solidarność" in einer Auflage von 500.000 Zeitungen. Selbst nach Verhängung des Kriegsrechts erscheinen in den 1980er Jahren neben Flugblättern, Postkarten und Briefmarken über 5.000 Bücher und 3.000 Zeitschriften im Untergrund.

Dieser Prozess beginnt in der DDR ab Mitte der 1980er Jahre und viel bescheidener. Im Herbst 1989 gibt es ca. 650 oppositionelle Gruppen, die sich personell z.T. überschneiden.

Allen geht es um die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit durch

 

Samisdat:

Quelle: ABL
Samisdat | Quelle: ABL

Bestanden Untergrundpublikationen bisher aus Durchschlägen von Schreibmaschinenseiten, so entstehen in den 1980er Jahren Periodika. Nahezu ohne Bildanteil werden die Zeitungen im Ormig– oder Wachsmatrizenverfahren hergestellt.

„Ich seh die Wälder meiner Sehnsucht“


Film der Umweltbibliothek Berlin zum "Kirchentag von Unten", Berlin 1987 (Quelle: Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)


Bis 1989 erscheinen ca. 190 Zeitschriften mit Auflagen von 100 bis 4.000 Exemplaren. Beiträge über Polen dienen dabei immer wieder als mobilisierendes Vorbild.

Peter Grimm: „Wir nehmen uns jetzt Freiheiten.“


Einer der „Macher“ der ersten von der Kirche unabhängigen Zeitung „grenzfall“ berichtet von den Schwierigkeiten der Herstellung und Verteilung von Untergrundpublikationen.

Lebenslauf Peter Grimm

Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Bundeszentrale für politische Bildung

 


Comic der Opposition, 1987, Quelle: Dirk Moldt

 

Informationsräume:


Quelle: ABL / Martin Jehnichen

Einen Spielraum bietet die evangelische Kirche in der DDR, da sie als bedeutende Institution der offiziellen Ideologie nicht verpflichtet ist. Die Amtskirche gerät jedoch in einen Konflikt – einerseits die Loyalität gegenüber dem Staat andererseits der Druck der Basisgruppen nach mehr Freiräumen. Wichtige Informationsbörsen sind die an Kirchgemeinden angebundenen "Umweltbibliotheken" (UB) im ganzen Land.

Quelle: ABL

Die "Umweltbibliotheken" stehen in der Tradition der osteuropäischen "Fliegenden Universitäten", den alternativen Bildungseinrichtungen in Selbstorganisation. Die bedeutendste ist die 1986 in der Zionskirchgemeinde Prenzlauer Berg gegründete UB Berlin. Sie ist d i e Informationsbörse in der DDR. Viele Gruppen haben dort ihre "Postfächer". Kuriere verteilen das Material in ihren Heimatregionen bzw. bringen Infos mit. In der Nacht 24./25. November 1987 kommt es zu einer Razzia und die Stasi verhaftet mehrere Mitarbeiter. Damit verschafft sie jedoch der UB eine große Öffentlichkeit. Im ganzen Land kommt es zu Solidaritätsbekundungen und die Berliner UB wird bis zum Ende der DDR von der Staatsmacht geduldet.

  • ausstellung
  • drin
  • druckmaschine
  • gottesdienst
  • info

 

"Wir haben alle Spießer satt!"

In den 1980er Jahren wächst eine Generation heran, die eigene Lebensentwürfe entwickelt. Subkultur und verbotene Kultur bringen die Kirchen an den Rand eigener Moralvorstellungen.

Berlin 1987 (Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft)

 

Friedensgebete:

Eine andere Form der "Informationsbörse" bilden die Friedensgebete. Die Leipziger sind dabei die bedeutendsten, denn aus diesen entwickeln sich 1989 die so genannten "Montagsdemonstrationen". Seit 1982 finden hier Friedensgebete statt, doch erst ab 1987 erfahren sie unter der Leitung von Christoph Wonneberger eine breitere Öffentlichkeit. Die Liturgie bietet Freiraum für gesellschaftliche Themen. Damit werden die Friedensgebete auch für Nichtchristen interessant und die Basisgruppen tauschen verstärkt Informationen, Termine, Kontakte aus.


Demonstration der Initiativgruppe Leben während des Friedensgebetes am 24. Oktober 1988 | Quelle: ABL / Christoph Motzer

Schnell wird aber auch deutlich, dass die Statements der Opposition der Kirchenleitung zu politisch sind und es kommt zur Ausgrenzung.

 

Private Lesungen:

Ebenfalls in der Tradition der "Fliegenden Universitäten" in Polen stehen die privat organisierten Diskussionsabende. In Privatwohnungen findet eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen jenseits offizieller Darstellungen statt. Es entstehen mitunter regelmäßige Kreise und man diskutiert philosophische Aspekte des Realsozialismus, liest verbotene Literatur, beleuchtet die "weißen Flecken" der Geschichte.

Reinhard Bohse: "Gegenseitig Erfahrungen vermitteln und etwas mehr begreifen."


Über viele Jahre trifft man sich regelmäßig bei Familie Bohse.

Lebenslauf Reinhard Bohse

 

Ausstellungen:

 


Quelle: ABL / Christoph Motzer

Ausstellungen werden in den 1980er Jahren zu einem probaten Mittel, eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Dabei wird über Themen aufgeklärt und sensibilisiert, die in der DDR unterdrückt oder tabuisiert werden. Im Gegensatz zu Ausstellungen der unabhängigen Kunstszene, die in privaten Räumen oder besetzten Häusern organisiert werden, können gesellschaftspolitische Themen nur in den geschützten Räumen der Kirche präsentiert werden. Die grafischen Gestaltungsmöglichkeiten bleiben dabei oft begrenzt.

  • 1
  • 10
  • 11
  • 12
  • 13
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9

 

Radio:


Quelle: ABL / Frank Sellentin

Trotz großer Anstrengungen der osteuropäischen Machthaber durch Störsender ist der Informationsfluss via Radio und Fernsehen nicht zu unterbinden. In Polen spielt "Radio Free Europe" eine wichtige Rolle. In München auf Kurzwelle produziert und von Exil-Polen gemacht, soll das polnische Programm in Krisenzeiten eine Einschaltquote von 80% gehabt haben.
Für die DDR spielte "Radio Free Europe" keine Rolle, empfängt man doch die Sendungen der Bundesrepublik frei Haus, denn es gibt keine Sprachbarriere.


Quelle: Bundesarchiv

Menschen, die die DDR verlassen, fühlen sich nicht als Exilanten. Nur wenige unterstützen von Westdeutschland aus die Opposition in der DDR. Mit der Entstehung des ersten Westberliner Privatsenders „Radio 100“ bietet sich 1987 die Möglichkeit, der DDR-Opposition ein Sprachrohr zu eröffnen. Jeden letzten Montag im Monat von 21 bis 22 Uhr sendet "Radio Glasnost – außer Kontrolle".


Mit einem Kinderstempelkasten erstellte Postwurfsendung in Berlin | Quelle: Robert Havemann Gesellschaft


In insgesamt 27 Sendungen werden geschmuggelte Informationen aus erster Hand zurück über die Mauer geschickt.
In dem Bericht über das Treffen der European Youth Forest Action vom 10. bis 16.7.1988 in Krakau werden die Unterschiede zwischen den osteuropäischen Umweltgruppen deutlich.


Quelle: Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen (BStU)

Der Empfang erstreckt sich auf Berlin und die angrenzenden Bezirke. Mit Störsendern versucht die Staatssicherheit den Empfang zu verhindern. Doch Mitschnitte der Sendungen werden über die ganze DDR verteilt.
Ungewollt verhilft das "Neue Deutschland" mit einem abwertenden Kommentar dem Sender zur Bekanntheit in der DDR und erreicht damit das Gegenteil.

Quelle: ABL. Bild: subjug/iStockphoto

Quelle: ABL

Lebensläufe:

Reinhard Bohse

  • geb. 1948 in Leuben bei Lommatzsch (Sachsen)
  • 1963 bis 1967 Abitur mit Berufsausbildung (Gärtner)
  • Jazzmusiker (Amateurstatus)
  • 1969 bis 1973 Geologiestudium an der Bergakademie Freiberg
  • 1973 Bergbau in Regis-Breitingen
  • 1974 Bezirksstelle für Geologie Leipzig beim Rat des Bezirkes Leipzig
  • 1982 Lektor beim Touristverlag in Leipzig, postgraduales Studium des Verlagswesen an der Karl-Marx-Universität Leipzig
  • 1989 Mitbegründer des Forum-Verlages, Leipzig
  • 1990 Pressesprecher der Stadt Leipzig
  • Heute: Pressesprecher der Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH

Peter Grimm

  • 1965 in Berlin geboren
  • 1983 Relegation von der Oberschule (kurz vor dem Abitur)
  • Hilfsarbeiter
  • Am 26. April 1986 erscheint die erste Nummer des „grenzfall“ der „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ (IFM).
  • 1990 Redakteur der Zeitung „die andere“
  • 1990/91 Pressesprecher der sächsischen Landtagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen
  • danach Fernsehproduktionen, freier Autor
  • 2005 Redakteur bei „Horch und Guck“

 

Seminar und Pilgerfahrten

Foto: Günter Särchen, 1973 | Quelle: Bistumsarchiv MagdeburgGünter Särchen (1927-2004) hat sich über Jahrzehnte für die deutsch-polnische Verständigung eingesetzt. Er leitet bis zu seiner Invalidisierung 1984 die Arbeitsstelle für pastorale Hilfsmittel im Bischöflichen Amt in Magdeburg.1960 ist Särchen das erste Mal in Polen und unterhält seitdem enge Verbindungen. Ab 1963 gehört er zum Leitungskreis der "Aktion Sühnezeichen" in der DDR.
Für ihn soll die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen soweit gelingen, dass sie Modellcharakter für andere politische, ideologische und religiöse Konflikte haben kann. Ein Mittel dafür bilden seit 1968 die von ihm geleiteten Polenseminare.

(Foto: Günter Särchen, 1973 | Quelle: Bistumsarchiv Magdeburg)

 


Quelle: Bistumsarchiv Magdeburg

Die Polenseminare finden zweimal im Jahr statt und sollen Einblicke in die Geschichte und Kultur Polens vermitteln. Ab 1970 kommen Pilgerfahrten nach Polen dazu. Insgesamt gibt es zehn derartige Reisen.

  • pilgerfahrt1
  • pilgerfahrt2
  • pilgerfahrt3
  • pilgerfahrt4

Die Polenseminare stehen jeweils unter einem bestimmten Thema. Särchens enge Verbindung zu den sogenannten "Klubs der katholischen Intelligenz", der selbstorganisierten katholischen Laienbewegung in Polen, ermöglichen Informationen aus erster Hand. Die Gäste gehören zum regimekritischen Milieu, so u.a. 1973 der spätere erste nichtkommunistische Premier Polens Tadeusz Masowiecki. Einen Höhepunkt bildet das Referat von Mieczyslaw Pszon im Jahr 1981. Er berichtet über die jüngsten Ereignisse in seinem Heimatland: "… glaubst Du an Signale?"


Quelle: Bistumsarchiv Magdeburg

Handreichungen

Seit 1973 stellt Särchen jährliche Handreichungen her, die in einer Auflage zwischen 100 und 1.000 Stück nur mit dem Vermerk "nur für den innerkirchlichen Gebrauch" verteilt werden können. Besondere Brisanz hat seine Handreichung von 1982. Unter dem unverfänglichen Titel "Versöhnung – Aufgabe der Kirche" veröffentlicht er Dokumente der Solidarność. (Für mehr Informationen klicken Sie auf die Schnipsel)


Quelle: Bistumsarchiv Magdeburg

Quelle: Bistumsarchiv MagdeburgDiese Schrift, mitten im polnischen Kriegsrecht erschienen, verschärft den Druck auf Särchen und die katholische Kirche. Diese befürchtet analog zu den 1950er Jahren neue staatliche Repressionen.
Günter Särchen wird für den Staat und die katholische Kirche zum Problem. Seit den 1960er Jahren steht Särchen im Visier der Stasi, seit 1982 wird er unter der "Operativen Personenkontrolle" "Patron" geführt.

Nachdem der Rückhalt in seiner Amtskirche immer geringer wurde, beschleunigt die Polen-Handreichung seinen erzwungenen Weggang aus dem kirchlichen Dienst 1984. Das bedeutet auch das Ende der Polenseminare.

 

Anna-Morawska-Seminar

Quelle: BStU Unter der Verantwortung von "Aktion Sühnezeichen" wird 1985 das Anna-Morawska-Seminar gegründet. Eine "Filiale" des Seminars entsteht jetzt in Berlin unter der Leitung des langjährigen Wegbegleiters Ludwig Mehlhorn. Dieser organisiert Veranstaltungen mit einer viel stärker politischen Ausrichtung, was verstärkt junge Menschen anzieht.

Ludwig Mehlhorn (1950-2011)
Quelle: BStU


Särchens langjährige Arbeit ist ein wichtiger Impuls für die Gründung der "Stiftung Kreisau für europäische Verständigung" im Dezember 1989. Als Ehrenrat erlebt er 1998 die Eröffnung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Kreisau.


Ökumenischer Gottesdienst zur Eröffnung der Jugendbegegnungsstätte Krzyžowa (Kreisau), 1998 | Quelle: Fundacja Krzyžowa

 

Der Konflikt zwischen Militarisierung und Pflegenotstand

Christoph Wonneberger, Quelle: ABL/M. Jehnichen Die Zeit Ende der 1970er Jahre ist von einer Abschreckungsstrategie der beiden Machtblöcke im Globalen und massiven Unterdrückungsmechanismen in der DDR geprägt. Diese Gemengelage aus globalem Wettrüsten und der Verherrlichung der Nationalen Volksarmee (NVA), der Kriminalisierung von Wehrdienstverweigerern und dem Pflegenotstand in der DDR lässt dem Dresdner Pfarrer Christoph Wonneberger keine Ruhe. Seit 1970 ist er ständiger Polen-Reisender. Die dort erlebten Protestformen bestätigen seine Ansichten, den gesellschaftlichen Spannungen konstruktive Alternativen entgegenzusetzen.

  • friedenswacht1
  • friedenswacht2
  • pioniere
  • pioniere1
  • rechnen
  • soldat-heinz
  • subtrahenden

Altersheim
Altersheim in Leipzig, 1987 Quelle: ABL

Der „faule“ Kompromiss Bausoldat

Schulterstück Bausoldaten, Quelle: ABL
Schulterstück Bausoldaten, Quelle: ABL

Seit Einführung der Wehrpflicht 1962 wird Wehrdienstverweigerung in der DDR strafrechtlich verfolgt. Einzige Alternative bildet seit 1964 der Wehrdienst ohne Waffe, der Dienst als Bausoldaten („Spatensoldat“). Dieser stellt jedoch für viele Jugendliche einen faulen Kompromiss dar, denn die Bausoldaten bleiben der Militärdoktrin unterworfen und müssen ihr dienen.

 


Helmut Nitzsche
„Ich hatte keine Lust mich da total anzustrengen“: Helmut Nitzsche spricht über seine Gewissenskonflikte als Bausoldat.

Lebenslauf Helmut Nitzschke

 

SoFd – Sozialer Friedensdienst

LogoDiesen Konflikt erlebt Wonneberger in seiner täglichen Arbeit in der Dresdner Weinbergsgemeinde.

Seine Erlebnisse in Polen helfen ihm bei der Entwicklung eines neuen deeskalierenden Ansatzes der Konfliktregulierung. 1980/81 entwickelt Wonneberger das Konzept des „Sozialen Friedensdienstes“ (SoFd) als Alternative zum Wehrdienst.

 

Christoph Wonneberger
"Diese Erfahrung hat mich bestätigt.": Gewaltfreiheit als gesellschaftspolitische Handlungsform.

Lebenslauf Christoph Wonneberger

 

Aufruf zum Sozialen Friedensdienst | Download als PDF. Bild: subjug/iStockphoto Antwort auf den Aufruf zum Sozialen Friedensdienst | Download als PDF. Bild: subjug/iStockphoto

Nachdem die Synode den Dresdner Antrag nicht unterstützte, verbreitet die Gruppe ihr Initiativpapier per Kettenbrief innerhalb der evangelischen Jugendarbeit. Dem Aufruf, Eingaben an die Synode für einen „Sozialen Friedensdienst“ zu richten, folgen 5.000 Menschen.
Diese Dynamik wird vom Staat sofort als Bedrohung begriffen und zu einer Umsetzung kommt es bis zum Ende der DDR nicht. „SoFd“ bleibt dadurch ein wichtiges Symbol des Widerstandes.


Armee nein danke! | Quelle: ABL

Lebensläufe:

Helmut Nitzsche

  • geb. 1940 in Leipzig
  • 1954 – 1956 Lehre als Fernmeldemonteur
  • 1966-1968 Bausoldat – er gehörte damit zum 2. Durchgang. 3 Monate Haft wegen Befehlsverweigerung
  • Seit 1970/71 Bausoldatentreffen, Gründung der Arbeitsgruppe „Friedensdienst“, Organisation von Friedensseminaren

Christoph Wonneberger

  • geb. 1944 in Wiesa (Kr. Annaberg)
  • 1960 - 1963 Ausbildung zum Maschinenschlosser
  • 1963 – 1965 Sprachstudium am Theologischen Seminar in Leipzig, anschl.bis 1970 Theologiestudium in Rostock
  • Vikar in Dresden
  • 1974 Gemeindepfarrer in Taucha (b. Leipzig)
  • 1977 – 1984 Pfarrer der Dresdner Weinbergsgemeinde
  • 1985 Pfarrer in der Lukas-Gemeinde in Leipzig
  • 1986 Gründung der Oppositionsgruppe „ Arbeitsgruppe Menschenrechte“ (AGM) – schwere Konflikte mit staatlichen und kirchlichen Stellen
  • Sept. / Okt. 1989 Verantwortung für die Friedensgebete in der Nikolaikirche und Mitorganisator der anschl. Demonstrationen
  • Ende Oktober 1989 Schlaganfall
  • Seit 1991 Ruhestand

 

 

 

Verdrängte Schuld

Logo Aktion SühnezeichenAls unerträglich empfindet der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Sachsen Lothar Kreyssig wie schnell die Deutschen nach 1945 wieder zur Tagesordnung übergehen.

Am 30. April 1958 setzt er ein Zeichen der Schuldanerkennung. In seinem Aufruf zur „Aktion Sühnezeichen“ (ASZ) - heißt es: "[Wir bitten] die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, daß sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Lande etwas Gutes zu tun …". In Polen, Rußland und Israel solle damit begonnen werden.

 Aufruf Kreyssig.pdf


Entsprechend dem "antifaschistischen" Selbstverständnis der SED müsse man in der DDR keine Schuld sühnen und die Organisation wird verleumdet. Im Gegensatz zu Westdeutschland konnte die Aktion Sühnezeichen in der DDR daher nur unter dem Dach der Kirche agieren.


Ehemaliges Konzentrationslager Auschwitz (Quelle Bundesarchiv)

 

Helfen in Polen

  • wandzeitung-gross
Wandzeitung der ersten Fahrt - Aktion Sühnezeichen 1965 - Quelle: Robert Havemann Gesellschaft

Vornehmlich Jugendliche helfen in Sommerlagern beim Gedenkstättenbau und in sozialen Einrichtungen. Im Jahr 1965 findet die erste Fahrt nach Polen statt:

„Im Abstand von wenigen Minuten, so als hätten sie [die Jugendlichen] nichts miteinander zu tun, überquerten sie am 19. Juli in Görlitz einzeln die Grenze und schlossen sich auf polnischen Boden wieder als Gruppe zusammen.“
[Konrad Weiß: Lothar Kreyssig. Prophet der Versöhnung, 1998, S. 380]

 

  • ngs1
  • ngs2
  • ngs3
  • ngs4
  • ngs5
  • ngs6
  • wiedersehen


Lothar Kreyssig (Quelle: Archiv des Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrums Magdeburg)

Oft wird ihnen jedoch die Ausreise nach Polen durch die DDR-Behörden verwehrt und die Lager finden im Inland statt. Diese Ausgrenzung befördert ein Selbstverständnis der kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte, Verantwortung und Glaube.


(Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig)

 

Erfahrungen des kritischen Denkens

Geschätzte 14.000 Jugendliche nehmen an den Sommerlagern teil. Aktion Sühnezeichen versteht sich als unpolitisch und nicht Teil der DDR-Opposition. Doch der erlebte offene Geist in den Sommerlagern prägt manchen Jugendlichen im späteren gesellschaftlichen Denken und Handeln. So kommen nicht ganz zufällig u.a. vier Gründer der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" von 1989 aus diesem Umfeld: Konrad Weiß, Ludwig Mehlhorn, Michael Bartoszek und Stephan Bickhardt.

Stephan Bickhardt: „Da gab es lange Diskussionsabende.“


Viele Jahre an der Organisation von Sommerlagern beteiligt, erzählt Bickhardt von den Möglichkeiten kritischer Debatten über Vergangenheit und Gegenwart.

 

Christian Sachse: „Wir flogen aus der LPG-Kantine raus.“


Staatliche Überwachung und individuelle Ressentiments gegenüber der unbekannten polnischen Kultur prägen mitunter die Sommerlager.

 

 Lebenslauf

Christian Sachse

  • geb. 1954 in Halle
  • 1974 Theologiestudium in Naumburg
  • 1983 Pfarrstelle in Torgau
  • Seit 1986/87 Organisator von Friedensseminaren
  • Umweltgruppe Torgau, Arbeitskreis Solidarische Kirche
  • September 1989 Ordinationsrechte entzogen
  • freischaffender Autor

Stephan Bickhardt

  • 1959 in Dresden geboren
  • 1976 - 1988 Aktion Sühnezeichen
  • 1977/78 Lehre zum Werkzeugmacher
  • 1979 – 1986 Studium der Theologie und Pädagogik in Naumburg
  • Mai 1985 Mitorganisator der "Initiative für Blockfreiheit in Europa"
  • Seit 1986 Kontakte zur Initiative Frieden und Menschenrechte Herstellung und Verbreitung von Samisdat-Literatur (Radix-Verlag)
  • Herbst 1986 Mitinitiator von "Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung"
  • Frühjahr 1989 Mitautor des "Aufruf Neues Handeln" (Aufstellung unabhängiger Kandidaten und zur Kontrolle der Auszählung der Kommunalwahlergebnisse vom 7.5.1989) September
  • 1989 Mitbegründer von Demokratie Jetzt (DJ)
  • 1990 Geschäftsführer, Mitglied im Sprecherrat und Länderausschuss von DJ
  • ab 1991 Pfarrer in Eberswalde, Leipzig, Markleeberg
  • seit 2007 Polizeiseelsorger, Leipzig

Lothar Kreyssig

  • geb. 1898 in Flöha, Sachsen
  • 1919 – 1922 Jurastudium in Leipzig
  • 1928 Richter in Chemnitz
  • 1935 Präses der Synode der Bekennenden Kirche in Sachsen
  • 1940 Zwangsbeurlaubung als Richter
  • 1942 Versetzung in den Ruhestand durch einen Erlass von Hitler
  • 1947 Präses der Sächsischen Kirchenprovinz
  • 1949 – 1961 Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
  • 1958 Gründung von Aktion Sühnezeichen
  • 1971 Übersiedlung nach Westberlin
  • 1986 gest. in Bergisch-Gladbach

 


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Diese Cookies sind essenziell für den Betrieb der Seite. Dabei handelt es sich um sogenannte Session-Cookies und ein Cookie, das Ihre Cookie-Einstellungen speichert. Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.