Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Neuigkeiten: Gregor Gysi soll am 9. Oktober, dem 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution, in der Leipziger Peterskirche im Rahmen eines Konzerts eine Festrede halten (von einer anderen Veranstaltung war unsererseits nie die Rede). Diese Tatsache und unser vielstimmiger Protest haben eine heftige Debatte ausgelöst. Manche behaupten sogar, Gregor Gysi habe in der Revolution eine wichtige Rolle gespielt und sie gefördert. Das stimmt ganz und gar nicht!

Noch am 4. November 1989 hat er auf dem Alexanderplatz die führende Rolle der SED und das Agieren seines SED-Parteivorsitzenden, Egon Krenz, dessen Nachfolger Gysi wurde, verteidigt. Am 9. Oktober 1989 entschied sich die Revolution, am 4. November 1989 waren die Veranstalter bereits eine „Sicherheitspartnerschaft“ mit SED, Stasi und Polizei eingegangen, die Mauer war de facto bereits offen, denn ab diesem Wochenende konnte jeder, der wollte, die DDR über die CSSR Richtung Bundesrepublik offiziell verlassen (was auch etwa 50.000 Menschen taten!). Ohne den 9. Oktober 1989 kein 4. November und kein 9.November! Der 9. Oktober 1989 war der symbolische 14. Juli der ostdeutschen Revolution, der Tag, an dem 1789 die Bastille erstürmt wurde. Und mit dem 9. Oktober hatte Gregor Gysi nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die Demonstranten überwanden ihre Angst, um gegen Gysis Partei und nicht für deren „führende Rolle“ aufzubegehren. Deshalb sind wir gegen Gysis Auftreten am 30. Jahrestag der Revolution in einer Leipziger Kirche. Und das steht auch so deutlich in unseren Erklärungen.

Die Protesterklärung vom 28. Juni 2019 haben mittlerweile über 700 Personen unterzeichnet. Die aktuelle Version vom 5. Juli 2019 finden Sie hier.

Uwe Schwabe - Archiv Bürgerbewegung Leipzig
Ilko-Sascha Kowalczuk - für die Initiatoren des Offenen Briefes
Frank Ebert - Robert Havemann-Gesellschaft

Leipzig und Berlin, 01. Juli 2019 

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Stand 28. Juni 2019: Über 420 Bürger und Bürgerinnen, die ein breites politisches Spektrum Deutschlands vertreten, sind empört darüber, dass ausgerechnet Gregor Gysi am 9. Oktober 2019 in einer Leipziger Kirche eine Festrede zum Jahrestag der ostdeutschen Revolution halten soll. Unter den Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen befinden sich Vertreter und Vertreterinnen der DDR-Opposition, aus der DDR-Aufarbeitung, aus der Wissenschaft, Kunst und Kultur sowie politische Akteure aus Ost und West.

Wir geben hiermit die Protesterklärung zur Kenntnis. Sie kann sofort verwendet, verbreitet werden und hier heruntergeladen werden.

Zum Hintergrund: 

In diesem Jahr feiern wir den 30. Jahrestag der Revolution, die die SED-Diktatur beendete. Der Tag der Entscheidung war der 9. Oktober 1989, als über 70.000 Menschen aus der ganzen DDR in Leipzig gegen die SED-Herrschaft demonstrierten. Schon in den Wochen zuvor war das Regime durch die Massenflucht sowie die Gründung neuer Bürgerbewegungen destabilisiert worden. Die Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig sollte die Entscheidung bringen: Würde das SED-Regime mit militärischer Gewalt die Demonstration niederschlagen oder würde es zurückweichen? Alle Vorbereitungen dafür waren getroffen. Angesichts der unerwartet großen Menschenmasse aber wich das Regime zurück. Die bereit stehenden Einsatztruppen von Armee, Polizei und Staatssicherheit und die SED kapitulierten, die Diktatur war am Ende.

Es war der 9. Oktober 1989, der den Mauerdurchbruch am 9. November 1989 ermöglichte. Die Freiheitsrevolution in Ostdeutschland war unumkehrbar geworden. Auch wenn - wie in jeder anderen Revolution - die Mehrheit der Gesellschaft passiv blieb, bezwang eine starke Minderheit die SED-Herrscher. Die SED-Führung und hunderttausende treue und loyale Mitglieder und Sympathisanten versuchten, am Ende vergeblich,  ihre Herrschaft zu retten. Der letzte SED-Vorsitzende war der Rechtsanwalt Gregor Gysi. Er verhinderte die Auflösung der SED, um Vermögen, Einfluss und Macht zu retten. 

In den letzten 30 Jahren hat Gregor Gysi als wichtigster Funktionär der mehrfach umbenannten SED die Aufarbeitung der SED-Diktatur persönlich und als Funktionsträger behindert. Dass er dennoch zu einem der gefragtesten Politiker, vor allem in Deutschlands Salons und Talkshow wurde, verdankt er nicht nur seinem Talent, sondern auch der Freiheit, für die am 9. Oktober 1989 zehntausende Menschen mit größtem Risiko auf die Straße gegangen sind. Von der gelebten Demokratie und Freiheit, für die die Demonstranten auf die Straße gegangen sind, profitieren eben auch jene, die auf der anderen Seite standen – und das ist gut so. 

Es ist allerdings empörend, wenn der letzte SED-Vorsitzende ausgerechnet am 9. Oktober 2019 in einer Leipziger Kirche als Festredner zum 30. Jahrestag der Revolution auftritt. In unserer Protesterklärung heißt es dazu: "Wir können nicht glauben, dass die Geschichtsvergessenheit bereits so weit fortgeschritten ist, dass nun schon diejenigen zu Festreden eingeladen werden, die Revolution und Einheit mit aller Entschiedenheit zu verhindern suchten. Wir finden das zynisch und empörend. Offenbar ist es nötig, künftig noch entschiedener auf die Verbrechen und die historische Verantwortung der SED hinzuweisen. Das werden wir tun. Auch wenn das viele nicht hören wollen: Die SED ist nie aufgelöst worden, weil Rechtsanwalt Gysi und seine Partei nicht alles verlieren wollten, vor allem das große Vermögen der SED, aber auch politischen Einfluss, und das deshalb verhinderten. Das haben sie mehrfach vor Gericht selbst bestätigt. Nun wollen sie offenbar sogar noch im Nachhinein die Revolution für sich beanspruchen und gewinnen, für die nicht Gregor Gysi steht, sondern all jene, die die SED herausgefordert und entmachtet haben und zu denen wir uns zählen.“

Frank Ebert für die Robert-Havemann-Gesellschaft - Ilko-Sascha Kowalczuk für die Initiatoren - Uwe Schwabe für das Leipziger Bürgerarchiv

Offener Brief:

Fake News zur Friedlichen Revolution?

Presseagenturen verbreiten die Nachricht, Gregor Gysi, der letzte SED-Vorsitzende und anschließende Chef der SED/PDS, dann der PDS und schließlich Multifunktionär der Linkspartei soll am 9. Oktober 2019 in der Peterskirche zu Leipzig, umrahmt von den Leipziger Philharmonikern, eine Festrede zur Revolution in der DDR halten.

Der Freiheitsrevolution, die zum Mauerdurchbruch am 9. November 1989, zu freien Wahlen am 18. März 1990 und schließlich zur Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 führte. Ausgerechnet zum selben Zeitpunkt soll Gysi reden, zu dem mit einem großen Lichtfest um den Leipziger Ring an die Friedliche Revolution erinnert werden soll. Was sich wie Fake News liest, stellt sich bei näherer Betrachtung als ernstgemeinte Veranstaltung heraus. Wir sind fassungslos!

Ausgerechnet Gregor Gysi, dessen Partei die Diktatur befehligte, der ganz persönlich gegen die Deutsche Einheit war und der jahrelang die Aufarbeitung der SED-Diktatur zu behindern suchte, soll nun am 30. Jahrestag des 9. Oktober, dem Tag der Entscheidung der Revolution in der DDR, an dem über 70.000 Demonstranten in Leipzig aus allen Teilen der DDR die Herrschaft der SED entscheidend erschütterten, eine Festrede in einer Leipziger Kirche halten.

Wir können nicht glauben, dass die Geschichtsvergessenheit bereits so weit fortgeschritten ist, dass nun schon diejenigen zu Festreden eingeladen werden, die Revolution und Einheit mit aller Entschiedenheit zu verhindern suchten. Wir finden das zynisch und empörend. Offenbar ist es nötig, künftig noch entschiedener auf die Verbrechen und die historische Verantwortung der SED hinzuweisen. Das werden wir tun.

Auch wenn das viele nicht hören wollen: Die SED ist nie aufgelöst worden, weil Rechtsanwalt Gysi und seine Partei nicht alles verlieren wollten, vor allem das große Vermögen der SED, aber auch politischen Einfluss, und das deshalb verhinderten. Das haben sie mehrfach vor Gericht selbst bestätigt. Nun wollen sie offenbar sogar noch im Nachhinein die Revolution für sich beanspruchen und gewinnen, für die nicht Gregor Gysi steht, sondern all jene, die die SED herausgefordert und entmachtet haben und zu denen wir uns zählen.

 

28. Juni 2019

Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Robert-Havemann-Gesellschaft Berlin e.V.

Wolf Biermann; Marianne Birthler; Frank Ebert; Rainer Eckert; Ralf Hirsch; Freya Klier; Ilko-Sascha Kowalczuk; Hildigund Neubert; Ehrhart Neubert; Maria Nooke; Gerd Poppe; Werner Schulz; Uwe Schwabe; Annette Simon; Reinhard Weißhuhn


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